Losgelassenheit

Pferd & Reiter in perfekter Balance

Im Gleichgewicht zu sein fühlt sich in allen Lebenslagen gut und leicht an. Ein schönes Ziel mit einem noch schöneren Gefühl dahinter. Balance ist auch die Grundvoraussetzung für die von uns Reitern so ersehnte Losgelassenheit des Pferdes. DQHA Professional Horsewoman und Mentaltrainerin Gabi Kelch erläutert die Zusammenhänge. 

Erst wenn man – in welchem Bezug auch immer – in Balance kommt, kann man loslassen und alles fließt wie von selbst, ohne Widerstand. In Bezug auf die Zusammenarbeit mit Pferden werfen wir einen Blick auf das körperliche und psychische oder mentale Gleichgewicht. 

Wie so oft, gibt es auch hier keinen allwissenden Tipp, der nach kurzer Zeit bereits zum Ziel führt. Jedes Pferd und jeder Mensch hat anatomische und innere Voraussetzungen, die wir als Grundlage festhalten und annehmen sollten. 

Muskelsteifheit im Reiterkörper löst z. B. Steifheit in denjenigen Muskeln des Pferdekörpers aus, die in direktem Kontakt zu den steifen Reitermuskeln stehen. Ein nicht ausbalancierter Sitz verteilt das Gewicht ungleichmäßig auf dem Pferderücken, wodurch das Pferd aus dem Gleichgewicht gebracht wird. Es spannt verschiedene Muskeln an, um sich zu stabilisieren und das Ungleichgewicht auszugleichen, damit es nicht umfällt. Den Reiter wiederum zwingt sein nicht ausbalancierter Sitz, sich mit den Händen und Beinen festzuhalten, damit er nicht herunterfällt. Ein Kreislauf, der nur unterbrochen werden kann, wenn der Reiter bereit ist, an seinem Sitz, der generellen Körperwahrnehmung, -koordination, -beweglichkeit und einer gewissen körperlichen Fitness zu arbeiten. 

Körperspannung und -bewusstsein sind wichtig

Ohne genug eigene Körperspannung, ohne genug Körperbewusstsein und Balance ist man nicht in der Lage, ein Pferd am losen Zügel vernünftig über den Rücken zu reiten. Nur wer selbst ausbalanciert und in der Lage ist, die Körperspannung effektiv und bewusst einzusetzen, kann ein entsprechend ausgebildetes Pferd allein über Sitz und Bein am losen Zügel reiten. 

Eine ausgeklügelte muskuläre Koordination ist nötig, um als Reiter losgelassen auf dem Pferd zu sitzen. Hier empfehlen sich mentale und körperliche Übungen, mit denen das Halten des Gleichgewichts und auch der Gleichgewichtssinn trainiert werden. Es geht in diesen Übungen darum, die Tiefenmuskulatur von Rumpf und Rücken zu aktivieren und zu stärken. Als Nebeneffekt werden dabei Körperhaltung, Koordination und Konzentration verbessert. Solche Übungen finden sich bei diversen Gymnastik-Angeboten, Yoga, Pilates, Thai Chi oder ähnlichen Sporteinheiten, sodass jeder Reiter das passende Angebot wählen kann.  

Wer die Möglichkeit hat und sowohl auf ein entsprechendes Pferd zugreifen kann als auch einen Trainer mit geschultem Auge hat, kann sich auf eine Longeneinheit oder Unterrichtsstunde mit Sitzschulung einlassen. Sich nur auf den eigenen Körper zu konzentrieren hilft, den Fokus auf einzelne Körperteile zu lenken und hinzuspüren. Gezielt Muskelgruppen anzuspannen und zu entspannen und so den Effekt beim Pferd zu spüren. 

Mentaltraining

Das mentale Gleichgewicht kommt ergänzend hinzu. Es ist immer leicht gesagt und man kann es oft schon nicht mehr hören. Aber ja, es ist von größter Bedeutung, mit welcher Einstellung und welchem gedanklichem Fokus wir zu unserem Pferd kommen. Habe ich ein Problem und meine Gedanken kreisen täglich mehr und mehr darum, wird es größer und größer. Hilfreicher ist es, sich auf eine Lösung zu konzentrieren und etwas zu verändern. Wenn wir mit unserem Pferd eine schöne Zeit – Reiteinheit – verbringen wollen, sollten wir ehrlich sein. Pferde reagieren auf Emotionen so fein, dass wir nichts verbergen können. Emotionen sind menschlich. Wir sollten sie nicht unterdrücken, sondern lernen, jeden Tag ein bisschen besser damit umzugehen. Hier könnten Mentaltraining, Entspannungs-, Klopf- oder Atemtechniken unterstützen, Emotionen wie Wut, Angst oder Frustration wieder zu neutralisieren. Diese Werkzeuge sind wirklich sinnvoll und sollten genutzt werden. Aber – es ist wie alles andere ein Training, das sich nur durch regelmäßiges Wiederholen verbessert.  

Und die Pferdepsyche?

Für das mentale Gleichgewicht beim Pferd sollten seine natürlichen Bedürfnisse genauer betrachtet werden. Faktoren wie regelmäßige freie Bewegung, Kontakt mit anderen Pferden, abgestimmtes Futter, Licht, frische Luft sind nur einige Beispiele. Zudem sollte man sich mit der Psyche seines Pferdes auseinandersetzen, es beobachten: Wie verhält es sich mit anderen Pferden? Wie sind seine Reaktionen auf neue Dinge? In welchem Kontext lernt es am besten? Dies und anderes genau zu analysieren, sich die Zeit nehmen, um hinzuschauen, „zuzuhören“, auf Dinge einzugehen hilft, eine positive Grundvoraussetzung fürs Training zu schaffen und verhilft ebenfalls zu gemeinsamer Balance. 

Alles in Balance

Von der körperlichen Seite betrachtet, benutzt ein ausbalanciertes Pferd seine Rumpfmuskeln, um Gleichgewicht und Stabilität herzustellen, was ihm erlaubt, seine Beinmuskulatur für die Bewegung zu verwenden. Alle seine Muskeln arbeiten miteinander statt gegeneinander. Ein schöner Gedanke, und ein erstrebenswertes, gesunderhaltendes Ziel! 

Hilfreich fürs praktische Training ist es, Übungen auszuwählen, die aus einer Kombination von Hufschlagfiguren und Seitengängen bestehen und Reiter wie Pferd immer wieder in die Lage bringen, sich neu zu sortieren bzw. auszubalancieren. Ein Wechsel zwischen muskulärer An- und Entspannung findet statt, der so abwechslungsreich ist, dass Kopf und Körper gleichermaßen gefordert und gefördert werden. 

Text: Gabi Kelch, Foto: Mauser Tierfotografie