Auf dem Weg, noch nicht am Ziel

Jungpferdetraining: Kurzer Zwischenstopp

Mit dem Start in die Jungpferdeausbildung begann eine spannende Zeit für Pferd und Reiter. Über viele Zwischenschritte ging es voran, bis aus dem als (fast) unbeschriebenes Blatt gestarteten Jungpferd inzwischen ein vertrauter Partner geworden ist, über dessen Eigenschaften man nun schon recht viel weiß. Aus Mutmaßungen sind Gewissheiten geworden, Hoffnungen haben sich erfüllt oder zerschlagen. Noch steht der Azubi ganz am Anfang, doch wird die Halbzeit in der Grundausbildung oft für eine Zwischenbilanz genutzt, die mit über die weitere Ausbildung entscheidet, oft aber sogar bereits die Weichen stellen soll für seine Zukunft.

Mit den ersten Schritten unterm Sattel zeigen sich nicht selten bereits jetzt besondere Talente, vielleicht auch gewisse Einschränkungen. Aber ist nun (oder gar schon zuvor) wirklich der geeignete Zeitpunkt für weitreichende Entscheidungen etwa bezüglich einer angestrebten Spezialisierung? Und kommt eine solche (frühe) Konzentration auf eine bestimmte Showdisziplin tatsächlich den besonderen Talenten eines jungen American Quarter Horses entgegen – oder wird es dadurch nicht womöglich eingeschränkt?

(K)ein unbeschriebenes Blatt
Natürlich kennen wir unseren Berufseinsteiger bereits gut, haben ihn durchs Fohlen-ABC begleitet, im Umgang erlebt, in der Herde beobachtet und an zahlreiche Ausbildungsschritte zufrieden einen Haken gemacht. Wir kennen seine Abstammung, haben Informationen über Eltern, Voll- und Halbgeschwister und deshalb eine mindestens ungefähre Vorstellung von besonderen Eignungen oder möglichen Schwachstellen. Charakter, Temperament, Gangwerk – hier zeigt das Pferd eigentlich vom ersten Lebenstag an, wie es gestrickt ist. Sicher haben erfahrene Zuchtrichter auch bereits einen Blick darauf geworfen und ihre offizielle Einschätzung kundgetan. Nicht zuletzt werden viele junge Pferde ja auch bereits in altersgemäßen Disziplinen geshowt und sammeln hier ebenfalls individuelle Bewertungen. Und, keine Frage, im Laufe der Grundausbildung bekommt das Bild, das wir bislang von unserem jungen American Quarter Horse hatten, ein noch schärferes Profil. Gerade der Übergang zu den ersten Schritten unter dem Reiter markiert eine Zäsur: Ab nun ist unser Jungspund ein Reitpferd.

Wo stehen wir, wo geht es hin?
Auf Schwächen eingehen, Defizite aufarbeiten, Stärken erkennen, Talente fördern: Dazu gehört auch, das Pferd seinen Anlagen entsprechend auszubilden und Ausbildungsziele anzustreben, für die es eine besondere Eignung zeigt oder die zumindest erreichbar scheinen. Dabei orientieren sich viele Fans und Freunde des American Quarter Horses oft vorwiegend an den klassischen Disziplinen der Showarena. Verständlich, ist doch das Showen integraler und maßgeblicher Bestandteil des Westernreitens auf und mit unseren Quartern unter dem Dach der DQHA. Die große Vielzahl an möglichen Spezialisierungen stellt zudem sicher, dass jeder Topf seinen Deckel findet, dass wirklich jedes Pferd, jeder Reiter eine maßgeschneiderte Disziplin findet, die Spaß macht, ein erreichbares und sinnvolles Ausbildungsziel bietet, den eigenen Anlagen am besten entspricht. Zudem ist das Spektrum der Disziplinen nicht in Stein gemeißelt und durchaus wandelbar – neue Wettbewerbsformen etablieren sich, alte verlieren an Bedeutung oder passen sich aktuellen Entwicklungen an.
Bei der Frage einer möglichen Spezialisierung des noch jungen und damit sehr formbaren AQHs sollten allerdings drei Aspekte unbedingt beachtet werden: Es stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt, es sollte bedacht werden, dass Turnierdisziplinen nicht einmal annähernd das gesamte Spektrum der Einsatzgebiete der für ihre Vielseitigkeit bekannten Pferde abbilden und es muss auch bei späterer Spezialisierung für Abwechslung gesorgt werden.

Wir haben noch viel Zeit…
Erinnern wir uns: Wir unterscheiden zwischen dem Anreiten und der Grundausbildung eines Pferdes. Während das Anreiten mehrere Monate dauert, rechnet man für die Grundausbildung etwa zwei Jahre. Die Grundausbildung legt die Basis für das gesamte Berufsleben unserer Pferde und so auch für eine etwaige Spezialisierung. Sie läuft zudem bezüglich Dauer, Lernschritten, Lerninhalt und weiteren Merkmalen für alle Westernpferde vergleichbar ab, mit wenigen, im Ganzen aber eher geringen Unterschieden, die etwa dem Konzept des Trainers, der individuellen Veranlagung des Pferdes oder den auf der Anlage vorhandenen Rahmenbedingungen geschuldet sind.
Erst bei abgeschlossener und gefestigter Grundausbildung ist das Pferd bereit für die gestiegenen Anforderungen, die mit einer Spezialisierung einhergehen. Es ist körperlich gereift, sein Trageapparat hat sich der erhöhten Belastung angepasst, es ist zudem (annähernd) ausgewachsen und auch geistig den Kinderschuhen entwachsen.

Vielseitigkeit: Besser fürs Pferd
Eine zu frühe und eine zu einseitige Ausrichtung des gesamten Trainings auf eine Spezialdisziplin mag besonderen Talenten des Pferdes entgegenkommen, ist langfristig aber nicht unbedingt gesund: Dem Körper mangelt es an Ausgleich, dem Geist an Abwechslung. Die Anforderungen der verschiedenen Disziplinen sind zwar dem Arbeitsalltag des Ranchpferds entnommen, aber stark komprimiert, verdichtet, aus dem Zusammenhang genommen und zudem im Anspruch intensiviert. Das echte Ranchpferd wird in seinem Einsatz vor eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Aufgaben gestellt und kann zudem in seiner Freizeit Erholung und Entspannung in der Remuda finden – anders als das hoch spezialisierte Showpferd, das immer dieselben Bewegungsabläufe und diese in hoher Intensität und Frequenz absolviert und dann vielleicht nicht einmal regelmäßigen „Freigang“ in Gesellschaft genießt.
Intensive Arbeit in einer Spezialdisziplin muss deshalb ergänzt werden, und das geschieht am besten durch Geländeritte. Ausreiten ist nicht etwa das, was man vor oder nach einer langen Trainingseinheit auf dem Platz durch eine kurze Schrittrunde um die Anlage herum abhakt und Geländeritte sind auch nicht die Alternative für Pferde oder Menschen, denen es schlicht an Talent für größere Aufgaben mangelt – die gemeinsame Bewegung draußen ist die ureigene Aufgabe für beide und bestens geeignet, all die Trainingsreize zu setzen, die bei einer gezielten Vorbereitung auf die Show fehlen mögen: Die Pferde bewegen sich überwiegend geradeaus anstatt auf engen Wendungen, sie durchlaufen die gesamte Bandbreite an Gangarten und Gangmaß, gleichen kleine und große Unebenheiten des Laufprofils aus, arbeiten auf unterschiedlich tiefem, strukturiertem und geformtem Geläuf, sind immer wieder neuen Umweltreizen ausgesetzt, kurz, werden umfassend gefordert und gefördert, wobei sie gleichzeitig Entspannung und Erholung erfahren. Auch dem Mensch tut es gut, in der Natur Sport zu treiben…

Abwechslung macht fit
Insbesondere der Trageapparat des Pferdes verlangt dringend nach einem Ausgleich und muss vielfältigen Belastungsreizen ausgesetzt werden, um sich stark und zuverlässig zu entwickeln und diese Robustheit auch beizubehalten. Deshalb kann nur empfohlen werden, Geländeritte möglichst früh in die Ausbildung des Jungpferdes einzubeziehen und sie später als integralen und gleichwertigen Bestandteil jedes Trainingsprogramms zu betrachten. Hinzu kommt, dass viele American Quarter Horses eh Geländepferde im „Hauptberuf“ sind und gelegentliche Shows und die zielgerichtete Vorbereitung darauf nicht im Mittelpunkt ihres Trainingsprogramms stehen.
Zur Vielseitigkeit gehört auch Bodenarbeit: Das weite Spektrum an möglichen Techniken und Inhalten sorgt für jede Menge Abwechslung und die Bewegung ohne belastendes Reitergewicht dient auch der Erholung. Insgesamt sollte auch der jeweilige Einfluss einseitigen wie vielseitigen Trainings auf die Motivation und Einstellung des Pferdes mit bedacht werden: Die Pferde sollen den Spaß und das Interesse an unserer gemeinsamen Arbeit über Jahre bis Jahrzehnte beibehalten und nicht etwa abstumpfen und resignieren. Dazu legen wir jetzt den Grundstein…

Gratwanderung Ausbildung
Mitten in der ersten Ausbildungsphase unserer jungen American Quarter Horses ist ein guter Zeitpunkt, kurz innezuhalten und zu reflektieren, wohin die Reise wohl gehen mag. Natürlich werden viele Pferde jetzt schon deutlich zeigen, wo ihre besonderen Stärken liegen und welche Spezialisierung ihren Anlagen am ehesten entspricht – doch wäre ein gezieltes Training in diese Richtung inklusive der damit verbundenen hohen Belastungen verfrüht: Die Pferde sind schlicht zu jung, die Ausbildung hat noch nicht alle erforderlichen Grundlagen dafür legen können.
Deshalb sehen auch die nächsten Meilensteine im Anreiten für alle Jungpferde mit kleinen, individuellen Unterschieden einheitlich aus: Aus den ersten Minuten im Sattel geht der Trainer nun dazu über, seinen Schützling ins freie Reiten zu führen, alle Gangarten, Richtungen und Geschwindigkeiten zu üben, ihn schließlich ausgiebig und regelmäßig mit dem Gelände bekannt zu machen und darauf vorzubereiten, den ausgelernten Azubi in die Hände seines stolzen Besitzers zu übergeben. Im besten Fall begleitet der Ausbilder Pferd und Reiter auch weiterhin durch die Zeit der Grundausbildung und unterstützt schließlich beide dabei, die individuell am besten passende Richtung zu finden, einzuschlagen und zu verfolgen. Gute Aussichten…

Text und Foto: Angelika Schmelzer