Pferden achtsam begegnen – die Übungen

„Nicht im Kopf, sondern im Herzen liegt der Anfang“ (Maxim Gorki)

Nachdem wir in der August-Ausgabe kennengelernt haben, was achtsamer Umgang mit Pferden bedeuten kann, wollen wir nun ganz konkret werden. Du findest hier einige Übungsvorschläge. Schau sie Dir an und entscheide selbst, welche davon zu Dir passen und Dich unterstützen. 

Die folgenden Achtsamkeitsübungen sind pferdebasiert, aber ihre Prinzipien lassen sich auch in den Alltag ohne Pferd integrieren. Sie sind als Anregungen gedacht. Probiere aus und behalte bei, was in Dein Reiterleben passt und eine Bereicherung für Dich und Dein Pferd sein kann. Vielleicht brauchst Du manchmal eine Erinnerungshilfe, die Du gut sichtbar anbringst. Irgendwo, wo Du ihr mehrmals am Tag begegnest – auf Deiner Hand, Deinem Handy, an der Tür. Du musst dafür zusätzliche Zeit einplanen und aufwenden – auch wenn sich der Vergleich zum Workout geradezu aufdrängt, denn Dein „Achtsamkeitsmuskel“ wird mit jeder Übung ein wenig wachsen. Die Übungen sollen Dich jedoch entspannt im Alltag begleiten, immer dann, wenn Du sie gebrauchen kannst. 

Von der Übung zur Gewohnheit 

Jede Gewohnheit, die Du neu etablieren und um die Du Deinen Alltag bereichern möchtest, braucht etwa drei Monate, bis sie so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass Du nicht mehr darüber nachdenken musst. 
Reiten lernen wir meist zunächst an der Longe, in ruhigem Tempo auf einem braven Pferd und im besten Fall mit geduldigen Reitlehrern, die uns Sicherheit geben. So empfiehlt es sich auch, dass Du Dich in Achtsamkeit übst, wenn es Dir gut geht und Du wenig Ablenkung um Dich hast. Wenn Du Dich sicherer fühlst, kannst Du erste Ausritte wagen: Wende diejenigen Achtsamkeitsübungen, die sich für Dich bewährt haben, auch in Momenten größerer Ablenkung an. Bald wird Dich Deine Routine auch auf einem ungestümen Pferd nicht mehr im Stich lassen, wenn also der Alltag um Dich herum stürmisch ist und die kreisenden Gedanken in Deinem Kopf einander an Lautstärke zu übertrumpfen versuchen.

Übung 1: Bewusstes Atmen

Die Basis der Achtsamkeitspraxis ist das bewusste Atmen. Sich bewusst und immer wieder auf den eigenen Atem zu konzentrieren, ihn zu beobachten und ganzheitlich wahrzunehmen, ist ein Anker, der uns jederzeit zur Verfügung steht.

Wie mache ich das?

In dieser Übung geht es darum, Deine Aufmerksamkeit zu lenken und bewusst zu atmen. Sorge für guten Bodenkontakt. Das rechte Maß an Stabilität in Deinem Körper zu finden ist bereits Teil der Achtsamkeitsübung. Atme durch die Nase und möglichst tief in den Bauch hinein. Deine Bauchdecke soll sich merklich und sichtbar heben und senken. Beobachte Deinen Atem dabei, versuche ihn aber nicht willentlich zu lenken. Er soll ruhig fließen, nicht hinein- oder herausgepresst werden. Mit der Zeit wird sich Dein Atem automatisch beruhigen und vertiefen. 

Beim Ausatmen lässt Du alle Gedanken los. Hilfreich kann es sein, zu zählen. Verschiedene Varianten sind möglich: So kannst Du Deine Atemzüge von 1 bis 10 mitzählen. Anschließend zählst Du sie von 10 bis 1 rückwärts mit. Schweifst Du ab, machst Du Fehler in der Zahlenfolge oder weißt nicht mehr, wie Du von dieser zu jener Zahl gelangt bist, nicht ärgern! Lenke stattdessen immer wieder Deine Aufmerksamkeit auf das Zählen.
Möglich ist auch, über den Tag verteilt jeweils drei achtsame Atemzüge zu nehmen. In diesen Augenblicken verweilst Du in Stille und körperlicher Ruhe. Du konzentrierst Dich ganz auf Atmung und Wahrnehmung und unterbrichst, was Du gerade tust. Kurz aussteigen aus dem Hamsterrad, umschauen, entdecken und alle Spannung loslassen.
Die so genannte 4-7-8-Methode ist eine weitere Möglichkeit der Ausführung. Atme langsam durch die Nase ein und zähle dabei innerlich bis vier. Verfolge den Weg Deines Atems bis in den Bauchraum. Spüre, wie er sich hebt und füllt. Halte den Atem dort und zähle bis sieben. Beim Ausatmen – langsam und hörbar durch den leicht geöffneten Mund – zählst Du im Kopf bis acht. Die dafür notwendige Konzentration lässt andere Gedanken kaum zu.

Was bringt mir das?
Mit dem tiefen Ein- und Ausatmen vermitteln wir unserem Körper das Gefühl von Sicherheit. Mit jeder Ausatmung wird das vegetative Nervensystem aktiviert, das unbewusste Körpervorgänge wie An- und Entspannung steuert. Schenken wir dem Ausatmen mehr Bedeutung, wird über die Atmung die Muskulatur entspannt. Dein ganzer Organismus regeneriert sich. Deshalb sind auch kurze Atempausen schon hilfreich. Diese Entspannung überträgt sich auf Dein Pferd.
Mit der Klarheit und Ruhe, die Du damit erreichst, machst Du Dich bei Deinem Pferd als Leittier attraktiv. Es kann sich Dir vertrauensvoll anschließen. Mit zunehmender Praxis kann der Atem die Funktion eines Reset-Knopfes übernehmen, immer dann, wenn Du eine Pause und Ruhe brauchst, Dich auf eine neue Situation einstellen willst oder eine (unangenehme) Situation bewältigen möchtest. Weitere Übungen im Heft…

Text: Antonia Schwarzkopf, Foto: Katharina Paulik

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