Freiheitsdressur

Kreative Bodenarbeit

Kreativität ist manchmal das wichtigste Handwerkszeug, wenn es um das Training während der Wintermonate geht. Je nach den regionalen und individuellen Gegebenheiten schrumpft die Auswahl an Methoden und Inhalten so zusammen, dass wirklich viel Engagement nötig ist, um den Quarti weiterhin körperlich wie geistig auszulasten. Was tun? Vielleicht eine völlig zu Unrecht etwas in Verruf geratene Form der Bodenarbeit für sich neu entdecken: die Freiheitsdressur!

Als Freiheitsdressur wird ursprünglich eine besondere Form der Zirkusdarbietung bezeichnet, bei der entsprechend ausgebildete Tiere – meist Pferde – nur mit Stimme, Gesten und ggf. einer Longierpeitsche oder Bodenarbeitspeitsche so gelenkt werden, dass sie einzeln oder als Gruppe bestimmte Lektionen zeigen. Später bezeichnete man so vor allem eine Form der korrektiven Bodenarbeit. Die freie Arbeit mit dem Pferd wird auch im Rahmen dessen genutzt, was pauschal als „Horsemanship“ bezeichnet und gelehrt wird, diese Begriffe sind aber keine Synonyme. Ganz grundsätzlich etablierte sich die freie Arbeit mit dem Pferd aber auch als Maßnahme, um grundlegende Probleme in Beziehung und Kommunikation zu klären.

Was kann Freiheitsdressur – und was nicht?

Wer sein Pferd mit einfachsten Mitteln vom Boden aus arbeitet, unter weitgehendem Verzicht auf Ausrüstung, stützt sich dabei auf eine Kommunikationsform, die beiden vertraut ist: das Ausdrucksverhalten. Alleine mit Mitteln der Körpersprache können Signale übermittelt werden, die der Partner lesen, verstehen und umsetzen kann. Der Mensch ist dabei gefordert, sich vor allem auf die „Sprache“ des Pferdes zu stützen und entsprechende Signale abzugeben. So lassen sich vor allem Tempo bzw. Gangart und Bewegungsrichtung des Pferdes mit minimalem Aufwand steuern. Stimmsignale ergänzen und unterstützen, fallweise kann auch eine Longierpeitsche hinzugenommen werden.
Das Pferd wird körperlich und geistig ausgelastet, aber nicht überfordert, da arttypische Verhaltens- und Bewegungsmuster als Basis dienen und abgerufen werden. Es macht die Erfahrung, dass der Mensch mit ihm in einer verständlichen Sprache kommuniziert und es selbst auch vom Menschen verstanden werden kann. Der Mensch wird sich, nutzt er die Reaktionen des Pferdes als bewusst wahrgenommenes Feedback, der eigenen Körpersprache bewusst(er) und lernt, sie besser zu steuern, gezielter einzusetzen, überflüssige oder unbewusste Signale zu unterlassen. Da der Mensch agiert, das Pferd reagiert, wird gleichzeitig das Rangverhältnis definiert, mit dem Menschen als ranghöherem Impulsgeber. Die Herangehensweise lässt sich allerdings nicht auf stumpfes Dominieren und Unterordnen reduzieren.
Wichtig zu wissen: Fast immer ist es der Reiter, der am meisten dazulernen muss. Wir Menschen haben gerade in der Kommunikation mit unseren Pferden Probleme, unser Ausdrucksverhalten zu dosieren und zu kontrollieren. Deshalb ist es extrem wichtig, jede Reaktion des Pferdes in einen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Signal zu bringen, zu analysieren und ggf. die eigene Kommunikation entsprechend anzupassen. Zudem muss klar sein, dass dieses Hin und Her an Botschaft und Reaktion kaum in Kategorien wie gut und schlecht, richtig und falsch eingeteilt werden kann. Das Pferd ist deshalb nicht zu maßregeln und eh in keinem Fall irgendwie zu strafen, wenn Signale nicht zur gewünschten Reaktion führen. Arbeitet der Mensch selbstkritisch, wird die Kommunikation zunächst im Rahmen dieser Bodenarbeitstechnik, dann aber auch außerhalb verfeinert, bis Pferd und Mensch mit beinahe nicht sensorisch wahrnehmbaren Signalen kommunizieren.

Wie geht Freiheitsdressur?

Nutzen Sie einen ausreichend großen, sicher umzäunten Raum, etwa einen Longierzirkel. Sie sind lediglich mit einer Longier- oder Bodenarbeitspeitsche ausgestattet. Auch Stricke können eingesetzt werden, sind aber weniger präzise und schlechter zu dosieren. Schließen Sie Jacken und Mäntel, bändigen Sie Ihre Haare – Sie möchten eine gut definierte Silhouette abgeben und möglichst keine unbewussten Bewegungen machen, um sich etwa die Haare aus dem Gesicht streichen. Ihr Pferd braucht keine Ausrüstung. Ihr erstes Ziel ist es, mit möglichst geringem und stetig geringer werdendem Aufwand das Pferd in Gangart, Gangmaß und Richtung zu steuern.
Inhalte Ihres Trainings sind also verschiedene Gangarten, Gangartenwechsel (auch über eine Gangart hinweg), unterschiedliche Tempi innerhalb einer Gangart (Gangmaß), Richtungswechsel, Halten und ruhiges Stehen, Antreten in einer von Ihnen gewählten Gangart. Für Sie bedeutet dies, dass Sie nicht nur Ihrem Pferd verständlich machen müssen, was es tun soll („Geh rechte Hand im Jog“) sondern auch, was es unterlassen soll. Sie müssen es also etwa daran hindern, eigenständig einen Handwechsel durchzuführen oder anzugaloppieren anstatt zu anzutraben.
Dazu nutzen Sie vorwiegend Ihren Körper, wie Sie es vom Longieren (siehe Quarter Horse Journal Ausgabe 01/2021) her bereits kennen. Unterstützend können Sie Ihre Stimme und die Longierpeitsche einsetzen, ebenfalls wie beim Longieren. Und, wie bei der Arbeit an der Longe, Sie tun dies alles (überwiegend) von der Mitte des Longierzirkels aus. Ihr Ziel ist es, ein ständiges Band gegenseitiger Aufmerksamkeit zwischen sich und Ihrem Pferd zu knüpfen und aufrecht zu erhalten, und dies mit minimalem Aufwand. Hilfe erhalten Sie durch entsprechende Fachliteratur, über Rückmeldung durch Videoaufnahmen oder geschulte Beobachter und vor allem von Ihrem Pferd – es wird Ihnen jederzeit durch seine eigenen Reaktionen zeigen, ob Ihre Kommunikation eindeutig, klar, frei von Widersprüchen und Unsicherheit, zum richtigen Zeitpunkt und wohldosiert kommt…

Text und Foto: Angelika Schmelzer