Stangentraining gesund & abwechslungsreich!
Bei der Stange bleiben – auch im Winterhalbjahr!
Der Herbst ist da und mit ihm verschwinden abwechslungsreiche Trainingsmöglichkeiten vor allem im Gelände. Immer öfter herrschen draußen recht ungemütliche Witterungsverhältnisse und die frühe Dunkelheit schränkt den berufstätigen Reiter zusätzlich ein. Wohl oder übel wird das Training im Winterhalbjahr zumindest unter der Woche deshalb oft in die geschützte, beleuchtete Halle verlegt – und dabei soll es Reiter und Pferd nicht langweilig werden!
Bodenarbeit ist besonders geeignet, Abwechslung in das tägliche Trainingsprogramm zu bringen, wichtige Übungsinhalte vorzubereiten, zu vertiefen und zu verfeinern, den Trageapparat des Pferdes zu entlasten und es auch bei Zeitmangel sinnvoll körperlich und geistig auszulasten. Viele Ideen haben wir bereits im Winter 2020/2021 vorgestellt, bevor wir über die Sommermonate den Schwerpunkt auf Impulse zur Geländearbeit gelegt haben – jetzt geht es weiter mit der Bodenarbeit!
Erinnern Sie sich? Die ersten Artikel zur konstruktiven Bodenarbeit haben sich mit den Techniken des Longierens, der Doppellongenarbeit und der Arbeit an der Hand beschäftigt (Siehe QHJ, Ausgaben 1-3/2021: “Konstruktive Bodenarbeit). Nun geht’s weiter – und zwar hoch hinaus.
Hindernisse in der Bodenarbeit
Stangen, Cavaletti und Co kennen American Quarter Horses und ihre Reiter in- und auswendig. Knifflige Trails, die gemeinsam bewältigt werden müssen, mal unterm Sattel, mal an der Hand sind schließlich eines ihrer Spezialgebiete. Trail-Wettbewerbe enthalten zahlreiche Hindernisse und Strukturen, die Reiter und Pferd bewältigen müssen und überprüfen dabei nicht nur, ob und inwieweit Pferd und Reiter diesen Aufgaben gewachsen sind, sondern auch, wie diese angegangen werden, wie es um Kooperation, Körperintelligenz und Selbstständigkeit des Pferdes bestellt ist. Solche Hindernisse lassen sich nicht nur unter dem Sattel, sondern auch mit dem geführten Pferd hervorragend angehen, wie es überhaupt bei vielen Bodenarbeitsinhalten zu – durchaus willkommenen – Überschneidungen mit dem Training des gerittenen Pferdes kommt.
Im konventionellen Reitsport werden Stangen in der Bodenarbeit vor allem genutzt, um Raumgriff und Aktion eines Pferdes zu beeinflussen, die Rumpfmuskulatur zu stärken und Springpferde auszubilden. Stangen und Cavaletti werden so in das Training an der Longe eingebunden, aber auch für den Aufbau von Gassen für das Freispringen genutzt. Ist diese Form der Stangenarbeit auch für das American Quarter Horse und seine Reiter sinnvoll? Und was gibt es sonst noch an Trainingsinhalten mit Stangen, Bodenricks und Cavaletti?
Blick über den Tellerrand
Die Arbeit über Stangen und Cavaletti hat per se zunächst einmal weder etwas mit der Ausbildung von Dressur- noch von Springpferden zu tun.
„Die Cavalletti-Arbeit (sic) ist meines Erachtens das hervorragendste Mittel erfolgversprechender und gleichzeitig schonender Gymnastizierung des Pferdes“ schreibt Peter Lichtner-Hoyer in seinem Werk „Cavalletti Arbeit – Das Handbuch“ und führt weiter aus: „Sie veranlasst das Pferd, die Beine höher anzuheben und kräftigt damit die Muskulatur des gesamten Bewegungsapparates. Sie verlangt vom Pferd erhöhte Aufmerksamkeit und genaues Taxieren, womit seine Mitarbeit aktiviert und die Trittsicherheit gefördert wird. Als eine ganz besondere Folge der Cavalletti-Arbeit ist die entschiedene Steigerung der Balance, des Gleichgewichts, der Selbsthaltung (…) zu nennen, (…)“
Ließe sich aus dieser Beschreibung eine bestimmte Reitweise oder reitsportliche Disziplin im Hintergrund ableiten? Nein, denn die beschriebenen Effekte und Ziele der Cavalettiarbeit sind fast universell und so profitieren ganz sicher auch American Quarter Horses davon. Vielleicht gerade deshalb, weil derlei eher selten auf ihrem Stundenplan steht – so ist in jedem Fall für Abwechslung und damit auch für Entlastung gesorgt.
Was brauchen Sie?
Für Stangenarbeit braucht es Stangen, für Cavalettitraining Cavalettis – und wenn sich dies nicht in Ihrem Fundus findet, sollte es schleunigst angeschafft werden. Wer sich nicht mit schweren Holzstangen abplagen will, greift zu ummantelten Schaumgummielementen, die es in vielen Farben, Größen und Formen gibt. Bei gleicher Länge nutzen Sie Elemente mit quadratischem Querschnitt als Stange, solche mit langrechteckigem Querschnitt als flexibel aufstellbare Cavaletti – wie klassische Holzcavaletti sind sie mit unterschiedlichen Höhen einsetzbar (mal auf die breite Seite, mal auf die schmale aufgestellt). Achtung: Durch die Kunststoffummantelung wirken sie zwar wasserdicht, ziehen aber je nach Machart gerne im Bereich der Nähte Wasser, sodass sie besser unter Dach aufbewahrt werden sollten. Auch eine gute Alternative sind Plastikstangen in Kombination mit Kunststoff-Cavalettiblöcken – leicht, robust, nahezu unkaputtbar.
Die Arbeit über Stangen lässt sich am besten mit einem Training an der Longe verbinden – Sie benötigen also als Grundausstattung Longe, Longierpeitsche und Kappzaum. Diese Ausrüstung nutzen Sie auch für Führübungen mit Stangen, die sich als eigene Arbeitsform, aber auch als Vorbereitung des Longierens über Stangen empfehlen.
Größer ist der Aufwand fürs Freispringen: Hier werden in jedem Fall zusätzlich Fänge zur Errichtung einer Sprunggasse benötigt. Wer kein echtes Springtraining im engeren Sinne betreiben will, kommt mit Cavalettiblöcken aus Schaumstoff klar, die sich auch stapeln und kombinieren lassen. Wer seinen Quarter „richtig“ springen lassen will, braucht klassische Sprungständer und Stangen.
Rhythmische Sportgymnastik
Schritt, Trab oder Galopp – an der Longe und über Stangen: Dazu legen Sie die Hindernisse strahlenförmig so aus, dass der Hufschlag frei bleibt und Sie Ihr Pferd flexibel mal über die Hindernisreihe und durch Verlegen des Zirkelmittelpunktes auch daran vorbei arbeiten können. Wichtig ist der korrekte Abstand, und der ist natürlich je nach Pferd und je nach Gangart zu wählen, und zwar so, dass die Ideallinie jeweils in der Mitte der Stange liegt.
Im Schritt ist Ihr (Fern-)Ziel die gelassene Überwindung von ein bis etwa vier Stangen bzw. Cavalettis, die zunächst zur Gewöhnung in Reihe oder an allen vier Zirkelpunkten einzeln, aber später auch in unterschiedlichen Abständen ausgelegt und zudem auch auf verschiedene Höhen eingestellt werden. Beginnend mit zwei bis vier niedrig ausgelegten Stangen im regulären Schrittabstand fahren Sie die Anforderungen allmählich hoch, indem Sie etwa in einem zweiten Schritt eines der Cavaletti aus der Reihe entnehmen oder das letzte höher stellen. Seien Sie flexibel und arbeiten Sie spielerisch! Bei der Schrittarbeit liegt der Schwerpunkt gerne auch auf dem intelligenten Überwinden der absichtlich nicht geregelt aufgestellten Hindernisse, in Ruhe und mit voller Konzentration.
Bei der Arbeit im Trab kann Ihr Hauptziel in diesem Winterhalbjahr in der Ausweitung des Bewegungsspektrums Ihres Pferdes in zwei Richtungen liegen: einmal in Richtung weiter/flacher/raumgreifender, einmal eher kürzer/höher. Dazu arbeiten Sie Ihren Quarter zunächst über eine strahlenförmig ausgelegte Trabstangenreihe. Wenn das gut klappt, legen Sie die Stangen innen etwas höher und können nun Ihr Pferd mal auf einem kleineren Zirkelbogen innen laufen lassen, wobei es höher und in einem kleineren Abstand ausgelegte Stangen überwindet oder weiter außen, wo die Stangen niedrig und in größerem Abstand voneinander liegen. Nutzen Sie Schaumstoffelemente, müssen Sie sich allerdings entscheiden und entweder Ihre Zirkelreihe weit und flach oder eben eng und hoch auslegen, da diesen „Cavalettis light“ die nötige Stabilität für einseitiges Hochlegen fehlt. Diese Form der Stangenarbeit erweitert das Bewegungsspektrum in der Gangart Trab und ist damit eine sehr effektive Methode zur Förderung von Muskelkraft und Elastizität. Zudem ist es möglich, das Pferd eher in Richtung Dehnung zu unterstützen (weit und flach) oder es in Richtung Versammlung zu führen (hoch und eng). Der Bewegungsfluss und damit auch Takt und Schwung werden unterstützt.
Beim Galopp über eine Stange ist der Bewegungsablauf mit dem eines Sprungs vergleichbar – wir können also unser American Quarter Horse durch Stangen und Cavaletti ans „richtige“ Springen heranführen. Zudem ist die Galopparbeit über Cavaletti eine 1a Rückenschule und bringt eine echte sportliche Herausforderung ins Training. Arbeiten Sie sich allmählich von einem einzigen Cavaletti zu einer Reihe von bis zu vier Cavalettis hoch. Dabei kommt es mehr noch als bei Schritt- oder Trabreihen auf die korrekten Abstände an. Für die Galopparbeit über zwei Cavaletti und mehr haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie werden mit oder ohne einen Zwischensprung errichtet, es geht also entweder bei jedem Galoppsprung auch über ein Hindernis oder Sie wechseln ab zwischen Hindernis und „normalem“ Galoppsprung. Achtung – beides sehr anstrengend! Über die beim Springen trainierte Bascule, die Aufwölbung des Rückens und die Dehnung der gesamten Oberlinie, werden Rücken und Hinterhand des Pferdes gestärkt und gymnastiziert.
Hindernis-Abitur: Freispringen
Beim Freispringen überwindet das Pferd frei eine Reihe ganz variabler Hindernisse innerhalb einer Sprunggasse. Sie wird an der Längsseite der Reitbahn errichtet und auf der einen Seite von der Bande, auf der anderen von Fängen begrenzt. Das Pferd wird im Trab flott in die Gasse geführt und darf dann die Reihe selbstständig überwinden. Das flüssige Überwinden wird ggf. unterstützt durch eine Hilfsperson mit Longierpeitsche. Achtung: Keine Hektik aufkommen lassen, Unfallgefahr! Das Pferd trägt nur ein Halfter, ein Strick ohne Verschluss wird durch den Ring am Kinn geführt und einfach herausgezogen, wenn der Beginn der Sprunggasse erreicht ist. Niemand verlangt, dass Ihr Pferd hier auch tatsächlich springt, ebenso können Sie Trab- oder Galoppreihen aus Cavalettis aufbauen – ohne Longe und auf der Geraden ist der Lerneffekt ein anderer und Ihr Pferd findet mit großer Wahrscheinlichkeit auch viel mehr Spaß an der Sache, wenn es selbstständig arbeiten darf. Wenn Sie dann als Krönung mal – nach entsprechender Vorarbeit – ein Hindernis von doppelter Cavalettihöhe ans Ende der Sprunggasse aufbauen und Ihr Pferd stolz wie Oskar diesen Sprung nimmt, haben Sie Ihr Ziel erreicht: Freispringen oder auch einfaches Freilaufen über allerlei Stangensalat macht Pferde im Rücken locker, bringt Spaß und Abwechslung ins Training, ist für den Trageapparat im Vergleich weniger belastend als dasselbe Training auf dem Zirkel und deshalb eine tolle Aufgabe fürs Winterhalbjahr.
Bitte wärmen Sie Ihr Pferd vorher unbedingt gut auf und lassen es nicht öfter als bis zu fünfmal pro Trainingseinheit durch die Sprunggasse laufen. Handwechsel nicht vergessen! Noch ein Tipp: Da der ganze Aufbau recht aufwändig und die Halle natürlich eine Weile komplett belegt ist, tun Sie sich am besten mit Gleichgesinnten zusammen und machen eine (wiederkehrende?) Stallaktion daraus!
Text: Angelika Schmelzer, Foto: Angelika Schmelzer