Der One-Rein-Stop

Viel mehr als eine Notbremse!

Wir alle kennen das Gefühl, wenn unser Pferd losstürmt – im Falle eines American Quarter Horses kann das recht dynamisch werden, entwickelt es doch gerade im Antritt enorme Schubkraft. Der durchaus menschliche Impuls, sofort an den Zügel zu ziehen, bringt meist nicht, schon gar nicht das Pferd zum Anhalten. Wie aber kann man wirklich Herr der Lage werden und sein Pferd zuverlässig zum Anhalten bringen? Julia Zellner von JZ-Freizeitberitt erläutert uns die Vorteile des One-Rein-Stops: Notbremse und sinnvolles Trainingsziel in einem.

In der Tat stellt der Fluchtreflex des Pferdes eine der größten Herausforderungen unter dem Sattel dar. Vor allem im Gelände wünschen sich alle Reiter, ihr Pferd möglichst zu jedem Zeitpunkt und in jeder Situation zuverlässig kontrollieren zu können.
Dabei ist der One-Rein-Stop ein zuverlässiges Hilfsmittel, um auch in Gefahrensituationen sicher für beide – Pferd und Reiter – eingreifen zu können. Jedoch nur, wenn er so eintrainiert wird, dass ihn das Pferd jederzeit als selbstverständliches Alltagsmanöver zu bewerten gelernt hat. Das bedeutet, dass wir ihn nicht nur in Gefahrensituationen einsetzen, sondern bei jeder Trainingseinheit in der Reithalle, Reitplatz oder auch im Gelände! Schritt für Schritt wird der One-Rein-Stop trainiert und als Manöver ins tägliche Training eingebaut.

Vom Bodenpersonal zum Piloten

Ganz generell gilt: Der Reiter wird erst dann zum „Piloten“, der alles im Griff hat, wenn er in der Lage ist, jedes Körperteil des Pferdes zu kontrollieren! Dieses Motto nehme ich mir in der Ausbildung des Jungpferdes sehr zu Herzen und starte dabei immer mit bzw. an der Vorhand des Pferdes, dem dominantesten Körperteil, also an der Schulter, dem Kopf und dem Hals. Zuerst arbeite ich immer vom Boden aus, erst danach, wenn das Pferd verstanden hat, was ich von ihm will, im Sattel.

Gymnastik aus gutem Grund

Sehr oft höre ich weniger geübte Reiter sagen, dass die „Notbremse“ in einer Gefahrensituation nicht mehr ausgelöst werden konnte, da das Pferd sich unter dem Reiter angespannt hat und stocksteif wurde!
Meine Frage daraufhin ist: „Wie wurde das Pferd auf diese gymnastizierende Übung vorbereitet? Ist es jederzeit in der Lage, ohne jedweden Widerstand im Pferdemaul oder – bei Zäumung auf Sidepull oder ähnlichem – den Kopf und den Hals lateral zu kontrollieren, sprich nachgiebig und elastisch zur Seite zu führen?“

Laterale Biegung ist wichtig

Gymnastizierende Übungen in Sachen Biegung müssen sitzen und das nicht nur im Stand und/oder vom Boden aus, sondern ebenso im Schritt, im Trab und im Galopp. Zunächst natürlich daheim auf dem Round Pen oder Reitplatz, ohne Stress. Wenn dies dem Pferd nicht möglich ist, wie soll es dann jederzeit und auch im Gelände mittels lateraler Kontrolle zum Stehen gebracht werden können? „Bist du in der Lage, ohne jedes Training einen Spagat zu machen?“ frage ich dann die betreffenden Reiter.
Das Pferd sollte das Nachgeben im Hals und Genickbereich nicht als Strafe bewerten, sondern einfach nur als Abgeben der Kontrolle an den Menschen! Wird das oft genug geübt und zwar so häufig, dass das Pferd einem leichten Ziehen am Zügel sofort reflexartig nachgibt und in der Folge willig anhält, wird jede Trainingseinheit zu einem Miteinander! Beim Auflösen des One-Rein-Stops ist meistens ein deutliches Lecken und Kauen beim Pferd zu sehen, was positive Unterordnung und Vertrauen zum Menschen signalisiert.

Gezieltes Training für Vertrauen und Nachgiebigkeit

Der One-Rein-Stop, im Stand auch „Laterale Kontrolle“ genannt, setzt genau wie jede andere Übung, die wir unserem Pferd beibringen wollen, gezieltes Training voraus. Nur so ist der One-Rein-Stop später in jeder Gefahrensituation abrufbar. Das Pferd ist ein Fluchttier. Seinen Hals benutzt es als Balancierstange und wenn es davonrast, versteift sich dieser. Wenn der Hals dagegen gebogen ist, hat es keine Möglichkeit mehr, im vollen Tempo davon zu rennen, schließlich fehlt ja die Balancierstange.

Vertrauen zum Reiter gibt Sicherheit

Der One-Rein-Stop sollte nicht nur als Notbremse verstanden und eingesetzt werden. Ein Pferd, das sich nur mit leichtem Druck in eine Stellung begibt, in der es nichts weiter machen kann, als sich im Kreis zu bewegen und damit die Flucht ausgeschlossen ist, vertraut dem Menschen voll und ganz.
Sobald wir in der Lage sind, den Pferdehals mit geringstem Druck biegen und stellen können, arbeitet das Pferd mit uns zusammen und sein Fluchtgedanke wird minimiert.
Nach einigen Monaten Training mit den Jungpferden habe ich oft erlebt, dass die Pferde in einer Situation, in der sie unsicher waren, ihren Kopf freiwillig in die laterale Biegung brachten. Dies gibt mir immer ein gutes Gefühl, denn so sagt das Pferd mir „Löse du das für mich“. Und das ist für mich der beste Beweis für das gewachsene Vertrauen zum und unter dem Reiter.
Ob und mit wie viel bzw. wenig Druck diese Übung abrufbar ist, zeigt in der Pferd-Mensch-Beziehung sehr deutlich, wo wir gerade stehen.
Und das Geniale: Nicht nur die Psyche wird positiv beeinflusst, auch für die Athletik des Pferdes zeigt diese Übung Wirkung. Der Trapezmuskel wird gestärkt, die Oberhalsmuskulatur wird trainiert und gedehnt und die Unterhalsmuskulatur wird gelockert!

Text: Julia Zellner, Foto: Daniela Schmid