Reiten ohne Gebiss aus Trainersicht
Interview mit Julia Zellner
Das Pferd soll kein Sklave sein, den sein Meister führt, sondern ein Tänzer, der sich entwickelt, ist einer der Leitsätze, die sich Julia Zellner für ihre Arbeit als Trainerin von JZ-Freizeitberitt auf die Fahnen geschrieben hat. Viele ihrer Berittpferde reitet sie gebisslos und erläutert uns im Interview, wie sie zum Reiten „ohne“ steht.
Du reitest viele Pferde nicht nur gebisslos an, sondern bleibst auch später dabei. Was sagen Deine Kunden dazu?
In meiner Arbeit entscheide ich je nach Wunsch des Besitzers, ob sein Pferd mit Gebiss oder gebisslos ausgebildet wird. Gebissloses Reiten ist bei den meisten Kunden reine Geschmackssache, bis ihnen der Unterschied und die Vorteile ans Herz gelegt werden! Die meisten Reiter wissen nicht, dass wissenschaftlich bestätigt ist, dass im Pferdemaul anatomisch nicht einmal Platz für ein Gebiss ist!
Wo liegt für Dich der Unterschied zum Reiten mit Snaffle oder Billy Allen?
Ich habe viele Pferde erlebt, die sich schlagartig ins Positive verändert haben, sobald sie gebisslos geritten wurden! Entscheidet man sich, den sanfteren Weg ohne Gebiss zu gehen, muss man willens sein, auch an sich selbst zu arbeiten.
Das heißt?
Das heißt, sich ganz klar zu einem korrekten und feinen Umgang mit seinen Vierbeinern zu entschließen! Natürlich ist es schwieriger, ein Pferd ohne Gebiss anzureiten, es lohnt sich jedoch, da man von Anfang an gezwungen ist, sich nicht auf die enorme Einwirkung im Maul zu verlassen! Wer sich für eine gebisslose Zäumung entscheidet, der sollte sie auf keinen Fall einfach anlegen und losreiten. Und – ganz wichtig – nicht jede gebisslose Zäumung wirkt auf die gleiche Weise.
Geht man jedoch von einer sanften Grundausbildung aus, in der von der Bodenarbeit mit dem Knotenhalfter gestartet wird, ist das Anreiten mit gebissloser Zäumung meist sogar wesentlich einfacher als mit einem Snaffle.
Ist es denn überhaupt möglich, ein Pferd gebisslos über die Basics hinaus auszubilden und „fein“ zu reiten?
Natürlich muss das Pferd auch in der gebisslosen Zäumung lernen, sich selbst zu tragen und sich nicht mehr ständig am Zügel anzulehnen. Aber den Grundsätzen zufolge müssen wir die Leichtigkeit des Mauls nicht im Maul selbst, sondern in der Stellung des ganzen Pferdes suchen. Auf einem gut ausgebildeten Pferd sind Seitengänge und das Stellen und Biegen genauso gut möglich wie mit Gebiss und es zeigt sich relativ rasch, wo sich noch Defizite und Schwächen befinden!
Für mich ist feines Reiten auch ohne Gebiss möglich, denn so muss der Reiter bewusst mit dem Zügel Impulse setzen, anstatt auf Zug zu bleiben!
Ebenso ist der Reiter gezwungen, sich mehr auf die Schenkel und Gewichtshilfen zu konzentrieren. Ohne Gebiss zeigt sich die Wahrheit, sprich, ob man wirklich zügelunabhängig reitet!
Viele Reiter haben Angst, dass sie ohne Gebiss weniger Kontrolle über ihr Pferd haben, vor allem im Gelände quasi die „Notbremse“ fehlt. Wie siehst Du das?
Da ich mich in meiner Arbeit nach der gesunden Grundausbildung auf die Geländearbeit konzentriere, ist mir bewusst, dass viele Reiter Angst haben, bei einem Notfall das Pferd nicht mehr kontrollieren zu können.
Jedoch ist Fakt: Je mehr Einwirkung, desto mehr Schmerz im Pferdemaul. Dies mündet häufig darin, dass es zu einem verstärkten Abwehrverhalten oder Fluchtreflex kommt, wenn ein Pferd in Panik gerät. Daher macht es aus meiner Erfahrung wenig Unterschied, ob in solchen Fällen mit oder ohne Gebiss gearbeitet wird! In meiner Ausbildung ist der „one-rein-stop“ (Notbremse) das A und O der Lektionen, die meine Trainingspferde lernen und das sollte bei jeder Zäumung und zu jedem Zeitpunkt abrufbar sein!
Für Dich ist eine gebisslose Zäumung also in jeglicher Hinsicht eine Alternative zum Snaffle oder Bit?
Wie gesagt, für mich ist das gebisslose Reiten der sanftere Weg ein Pferd zu reiten, aber eben nur dann, wenn der spätere „Pilot“ des Vierbeiners in der Lage ist, es richtig und artgerecht anzuwenden! Aber ehrlich gesagt, sollte das jeder! Egal mit welcher Zäumung!
Das Interview führte Friederike Fritz. Foto: Katharina Paulik