Horsemanship

Der Einstieg

Horsemanship – wir alle kennen diesen Begriff, doch was steckt eigentlich dahinter? Martin Kreuzer betreibt in Thurmansbang mitten im Bayerischen Wald seine „MKA Martin Kreuzer Horsemanship Academy“. In dieser Ausgabe des Quarter Horse Journals geht Kreuzer auf die Grundlagen des Horsemanship ein und bietet Informationen zum Einstieg, in den nächsten Ausgaben wird er in loser Folge weitere Themen in Sachen Horsemanship beleuchten. 

„Horsemanship begleitet mich seit vielen Jahren durch mein Reiterleben“, beschreibt Martin Kreuzer. „In dieser Zeit konnte ich viele Menschen inspirieren, einen ähnlichen Weg zu gehen. Viele sagen, ich hätte eine Möglichkeit gefunden, Horsemanship als solides und ansprechendes Handwerk bekannt zu machen. Das ehrt mich natürlich und ist vor allem Motivation, meine Wege in der Beziehung von Pferd und Mensch noch mehr Reitern zugänglich zu machen.“ 

Dafür gründete er seine MKA und dafür ist er auch gerne bereit, sein Wissen weiterzugeben. „Mein größtes Bestreben ist es, Mensch und Pferd zu helfen, eine immer bessere Beziehung zueinander zu finden. Bei der Beziehung zwischen Menschen und Pferden ist es wie bei der Beziehung zwischen zwei Menschen: Man kann jahrelang nebeneinander her leben, ohne sich wirklich zu verstehen. Man lebt also an sich vorbei und der Mensch bemerkt das oft gar nicht.“ 

Er merkt an, dass „Kontrolle über das Pferd“ nicht der richtige Weg sein kann. Vertrauen und Verstehen seien die Schlüssel zum Erfolg. Kreuzer betont weiter, dass für viele Reiter der Weg zu dem, was auch als Horsemanship bekannt ist, eine völlig neue Erfahrung darstellt. „Es geht um diese Lernerfahrung für beide Seiten.“ Am Ende brachte ihm besseres Verständnis für das Pferd, sein Verhalten und seine Lernpsychologie auch eine deutlich glücklichere Beziehung zu ihm. 

Von der Psychologie des Pferdes

„Eines meiner Zitate lautet: Wenn der Mensch sein Pferd verändern möchte, dann muss er zuerst sich selbst verändern“, beschreibt Martin Kreuzer. „Es gibt wirklich einiges zu tun für uns als Menschen und wir müssen vor allem erst einmal uns selbst in Frage stellen. Welche Klischees spielen für uns in unserem Leben und vor allem in unserer Beziehung zum Partner Pferd eine Rolle? Welche Vorurteile beherrschen uns im Alltag und speziell im Umgang mit dem Pferd? Welche Missverständnisse in der Beziehung zu unserem Pferd haben wir vielleicht noch gar nicht bemerkt? Und wie steht es um Vermenschlichung? So gut diese in fast jedem Fall gemeint ist, so müssen wir Reiter doch lernen, dass das Pferd eine ganz andere Denk- und Lernweise hat!“ 

„Ich sage meinen Klienten deshalb immer wieder, dass sie – bevor sie ihre Beziehung zum Pferd verbessern – zunächst an sich arbeiten müssen. Wir werden täglich von wirklich zahllosen Einflüssen von außerhalb bestürmt.  

Unsere Umwelt kann dabei über uns Macht erlangen und über uns bestimmen. Wir müssen uns selbst erst wieder auf einer ganz natürlichen Ebene wiederfinden, die wir durch Einflüsse von außen – sei es im Job, durch Familie, Freunde und viele andere Faktoren – verlassen haben. Viele von uns werden fremdbestimmt. Diese Beziehung zu uns selbst muss zuerst wiedererlangt werden, bevor wir eine neue Art von Beziehung zum Pferd erarbeiten.  

Es lohnt sich wirklich, sich einige Tage oder auch Wochen Zeit zu nehmen und jeden Bereich seines Lebens genau auszuleuchten. Auch unsere Ansichten im täglichen Leben sollten hinterfragt werden. Ist das wirklich unsere Meinung oder die von anderen? Wir müssen lernen, uns im Alltag nicht von unwesentlichen Aktivitäten überfordern zu lassen. Ein einfacheres Leben mit den Dingen, die für uns wirklich wichtig sind, kann der Schlüssel zu einer glücklichen Ausgewogenheit sein.“ 

Pferde seien in dieser Hinsicht nämlich ganz anders als wir Menschen, erläutert Martin Kreuzer weiter. „Bei vielen Menschen geht es um Selbstdarstellung und darum, wie sie von anderen wahrgenommen werden. Man kann schon sagen, wir dekorieren uns für die Außenwelt. Das ist Pferden vollkommen fremd.“ 

Horsemanship – die Basics

Horsemanship ist für Martin Kreuzer eine ganzheitliche Philosophie im Umgang, Training und Ausbildung von Pferden. Als Fundament sieht er die Arbeit am Boden, auf welche in folgenden Episoden dieser Reihe noch ausgiebig eingegangen werden wird.  

Zunächst einmal steht für den Menschen die Aufgabe an, das Pferd richtig zu verstehen. „Denn dies ist nicht die Aufgabe des Pferdes, uns Menschen zuerst zu verstehen. Wir müssen die richtigen Signale aussenden!“ 

Die Natur des Pferdes zu kennen ist die Basis des Horsemanship. „Man muss dazu verstehen, dass für das Pferd als Tierart immer das Überleben im Vordergrund stand und daran hat sich bis heute nichts geändert. Pferde haben über die Dauer ihrer Evolution gelernt, zwischen wichtigen Informationen, die eine Anpassung erfordern, und unwichtigen Informationen, die nur grenzwertige Bedeutung haben, zu unterscheiden. Daran hat der Mensch nichts geändert. Pferde sind weiterhin instinktgeprägt und agieren als Fluchttiere.“  

„Die Leitstute übernimmt die Führungsposition innerhalb der Herde“, erklärt Martin Kreuzer. „Sie sorgt für Ordnung und weist rangniedrigere Herdenmitglieder zurecht. Allerdings nutzt sie eine Art passive Führung. Darüber werde ich noch ausführlicher berichten, wenn es um die Führung des Pferdes durch den Menschen geht. Oft denken Menschen, dass sie als Pferdehalter diese Position innehaben. Allerdings ist dies nicht ganz korrekt, denn sie haben noch eine weitere Aufgabe, nämlich die des Leithengstes, der die Herde aktiv beschützt.“ 

Wichtige Faktoren im Pferdeleben

„Das Leben in der Gruppe – der Herde – erlaubt es jedem Pferd, von dieser Sicherheit zu profitieren“, erklärt Martin Kreuzer. „Die Grundbedürfnisse unserer Pferde sind seit mehr als 50 Millionen Jahren ebenso wie heute Überleben, Fressen und Fortpflanzung.“ 

Und weiter: „Pferde kommunizieren größtenteils still, auf nonverbaler Ebene. Jedes Geräusch hätte einst in freier Wildbahn Raubtiere auf das Fluchttier Pferd aufmerksam machen können.“ Es wird also häufig durch Gesten kommuniziert zwischen den Pferden. Genau dies sollte auch zwischen Menschen und Pferden möglich werden.  

Das Pferd zeigt beispielsweise durch Lecken und Kauen an, dass es beschwichtigt bzw. sich unterwirft. Auf eine Geste wie diese muss der Mensch richtig reagieren lernen. Ein lediglich gesenkter Kopf dagegen ist eine Geste der Entspannung. „Pferde nutzen diese, wenn sie sich beim Menschen wohlfühlen und gerade ganz in ihrer Mitte sind“, beschreibt Martin Kreuzer. „In Momenten wie diesen hat das Pferd seinen Angst- und Fluchtreflex vollständig überwunden.“ 

Flucht und Energiesparer

Die Flucht vor dem Unbekannten sieht bei Pferden anders aus als bei manch anderem Tier. Nach etwa 600 Metern halten Pferde nämlich in natürlicher Umgebung an und beurteilen die Lage neu. „Sie verfügen demnach einerseits über einen Fluchtreflex und andererseits über die Tendenz, anzuhalten und die Lage neu zu beurteilen. Das spart Energie.“  

In der Zusammenarbeit mit dem Pferd bedeutet der Fluchtreflex, dass ihm bei unbekannten Situationen immer die Möglichkeit zu einer kleinen Flucht gegeben werden muss. „Eine kleine Bewegungsmöglichkeit an der langen Leine reicht aus“, so Kreuzer. 

Als Weidetiere sind Pferde Energiesparer. „Ruhe ist für sie also eine Belohnung“, erläutert Martin Kreuzer. „Arbeit verbraucht ihre Energie. „Strafe“ ist vielleicht der falsche Begriff für Arbeit, aber das Prinzip, einem Pferd alles, was es gut macht, so leicht wie möglich und das Unerwünschte so schwer wie möglich zu machen, hat sich bewährt. Es ist etwas, was das Pferd von Geburt an mitbringt und nicht erlernen muss. Arbeit sollte aber nie mit Stress verbunden sein, denn dies reduziert jede Art von Lerneffekt sofort.“ 

Mitdenken

Pferde lernen und denken anders als wir als Menschen es verstehen können. Pferde können nicht wie der Mensch „logisch denken“. Allerdings sind sie zum Mitdenken in der Lage. „Dieses Mitdenken möchte ich mit meiner Methode in vollem Umfang fördern“,  beschreibt Martin Kreuzer. „Dafür habe ich bislang mit vielen hundert Pferden gearbeitet und natürlich auch selbst immer neue Erkenntnisse – auch unter Einbeziehung neuer medizinischer und naturwissenschaftlicher Forschungen – gewonnen. Das Mitdenken des Pferdes reduziert den Fluchtreflex und macht das Pferd wesentlich schneller mutiger, klüger und ruhiger. Dies fördere ich in meiner eigenen Ausbildung nach der Bodenarbeit auch unter dem Sattel.“ 

Die nächste Folge der Reihe behandelt weitere Reflexe des Pferdes und was sie für den Menschen bedeuten und gibt erste Einblicke in die Denkweise des Pferdes.

Text: Alexandra Koch, Foto: N. Schwarzkopf Photography