Reiten als Vorbereitung aufs Leben

Was Kinder von Pferden lernen können

Pferde üben auf Kinder eine große Anziehungskraft aus. Das ändert sich in vielen Fällen mit dem Älterwerden nicht. Die Begeisterung für die vierbeinigen Partner bleibt mitunter ein Leben lang bestehen und ist nicht selten auch weiterhin von einem „kindlichen“ Enthusiasmus geprägt. 

Wahrscheinlich hat dies mit einer „unschuldigen“ Leichtigkeit zu tun, die eng zusammenhängt mit Unbeschwertheit, Sorglosigkeit und einem natürlichen Bewegungsdrang, der ausgelebt werden will. Ist das Leben doch meist bestimmt von Verantwortung, etlichen Pflichten, Krisen und Konflikten. Was sich nach der Beschreibung eines typischen Erwachsenenlebens anhört, betrifft unsere Kinder allerdings nicht minder. Die Folge: Stress.  

Unsere Gesellschaft fordert immer mehr und immer früher: hohe Bildungsstandards, Angepasstsein, Leistungsfähigkeit auf vielfältigen Gebieten und ein enormes Maß an Arbeitsmoral.  

Das Pensum steigt, der Raum für Individualität sinkt. Zu allem Überfluss indoktrinieren insbesondere die sozialen Medien eine unerreichbare Perfektion.  

Kinder suchen vor allem Freude, Sinnhaftigkeit und Struktur

Die kindliche Erlebniswelt ist nicht minder von Erfolgsdruck, Sorgen und vielfältigen Ängsten geprägt als die erwachsene. Kinder brauchen unbedingt Raum für individuelle Entwicklung, gezielte Förderung, aber auch das Gefühl von Sicherheit, Geborgenheit und Verständnis. In Zeiten der Globalisierung, des Internets und der „sozialen“ Netzwerke verkümmert zwangsläufig die Fähigkeit, sich mit anderen Lebewesen im direkten Austausch zu verbinden und sich mit ihnen auf vielschichtigen Ebenen zu verständigen. Emotionen werden mitunter nicht mehr gelebt respektive gezeigt oder in der Interaktion verbalisiert, sondern als Emoticons via WhatsApp versendet. Das Smartphone ist ein stetiger Begleiter und die Bilder auf Facebook sowie deren Like-Anzahl bestimmen den sozialen Status. Eine enorm große Gefahr, in so entscheidenden Entwicklungsjahren viel Selbstvertrauen zu verlieren, bevor es sich überhaupt aufbauen und festigen durfte. Die Anforderungen an die Soft Skills werden aber immer höher und bestimmen unabwendbar den schulischen, den später beruflichen und auch den privaten Erfolg.  

Gelehrt und gefördert wird in dieser Hinsicht dagegen wenig. Das muss für die heutigen Kinder ein irritierendes und widersprüchliches Erleben sein, das erfahrenere und gefestigtere Generationen nicht gänzlich nachempfinden können; sind sie doch anders aufgewachsen.  

Das Schaffen eines Ausgleiches von Einflüssen, die zwar nicht veränderbar, aber doch zumindest relativierbar und „aufweichbar“ sind, tut Not. An dem Punkt kommen die Pferde ins Spiel, denn sie sind aus natürlichen Gründen fähig, jedem genau das zu geben, was er oder sie im Hier und Jetzt braucht. 

Reiten ist Vorbereitung auf das Leben

Schnelligkeit, Stärke und Kraft gepaart mit viel Sensibilität sowie Kommunikationsfähigkeit machen Pferde zu idealen „Mentoren“. Reiten schult neben der Motorik und der Koordination auch das Gleichgewichtsempfinden und das Rhythmusgefühl. Aber nicht nur auf körperlicher Ebene sind Pferde eine große Stütze, sondern auch in sozialen und emotionalen Bereichen: Die Kinder sind nach und nach angehalten, Verantwortung für ein Lebewesen zu übernehmen. Ihre Zuverlässigkeit und ihre Frustrationstoleranz werden effektiv gefördert. Sie merken schnell, dass sie mit Ungeduld bei einem Pferd nicht weiterkommen und müssen sich Strategien erarbeiten. Dazu beginnen sie, sich selbst zu hinterfragen und gleichzeitig dabei herauszufinden, was dieses andere Lebewesen wohl braucht, damit gemeinsam Ziele erreicht werden können.  

Ganz nebenbei entwickeln sie einen Sinn für Durchhaltevermögen und können schnell erste Erfolgserlebnisse für sich verbuchen. Das stärkt das Selbstwertgefühl und wird natürlich auch (un-)bewusst auf andere Situationen im Alltag übertragen. Der Umgang mit Pferden fördert die kindliche Entwicklung auf vielfältigen Ebenen. So lernen die Kinder ganz spielerisch, ihre Konzentrationsfähigkeit auszubauen. Was in der Schule nicht selten mit viel mehr Mühe und Druck verbunden ist, gelingt im Zusammensein mit Pferden natürlicher und nachweislich auch tiefgreifender, weil die Freude an erster Stelle steht. Wer Spaß hat, der merkt gar nicht, dass er lernt – und braucht sich dann auch nicht dagegen zu wehren. Genau diese Haltung ist auch die von Pferden bevorzugte. Zwang, Gewalt und unnötiger Druck wirken gegen ihre Natur und sind im Ergebnis kontraproduktiv. Im Umgang und auch beim Reiten sind die Kinder gefordert, Empathie zu entwickeln und ihre Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern. Gleichzeitig wird die natürliche Verständigung der Tiere studiert, damit eine vertrauensvolle Partnerschaft mit ihnen möglich werden kann. Dieser Weg geht nur über Authentizität, den Sinn für Gemeinschaft, Ehrlichkeit, Respekt voreinander und auch ein gewisses Maß an Demut. Alles entscheidende Lerneffekte, die enorme positive Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes nehmen. Aber nicht alle Pferde (-rassen) sind grundsätzlich gleich gut geeignet, Kinder adäquat zu fördern.  

Neben dem Alter, dem Gesundheitszustand und den Erfahrungen spielt das Gemüt eines Pferdes vor allem zu Beginn eine wichtige Rolle.   

American Quarter Horses sind prädestinierte Lehrer

Das Wesen des American Quarter Horses ist absolut außergewöhnlich. Sie zeigen sich bereits im Fohlenalter neugierig, interessiert, menschenbezogen und ausgeglichen. Typischerweise ist ein Quarter Horse nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. Ihre Geduld gepaart mit Gutmütigkeit und einem offenen sowie liebenswürdigen Charakter macht sie zu ausgezeichneten Partnern für noch lernende und manchmal auch lebhafte, übermütige Kinder. Neben Umgänglichkeit, Freundlichkeit und Intelligenz zeichnet das AQH auch seine ausgeprägte Leistungs- und Lernbereitschaft aus. Ideal für ambitionierte Kinder, die gemeinsam mit einem Pferd wachsen möchten und sich Ziele setzen. Zudem ermöglicht ein vielseitig einsetzbares Reitpferd den Blick in jegliche Disziplinen – nicht nur im Bereich des Westernreitens. AQHs sind leicht trainierbar und überzeugen durch ihre Nervenstärke, was sowohl quirligen Kindern, die an ihrer Aufmerksamkeitsspanne arbeiten können, als auch introvertierten Kindern, die noch lernen dürfen, sich auszudrücken, stark entgegenkommt. Arbeitswille, Zuverlässigkeit, Trittsicherheit und Geschicklichkeit machen das AQH zu einem treuen Freund.  

Der Schlüssel ist die Liebe zum Pferd

Erfolgserlebnisse und die Bindung, die Kinder zu Pferden, der Stallgemeinschaft und -atmosphäre aufbauen, prägen vor allem ihr soziales und ihr emotionales Erleben – auch in allen anderen Bereichen. Im besten Fall wird ein gesundes Maß an Ehrgeiz gestärkt, welches die Kinder optimistischer und zielorientierter macht. Erste Turniergedanken können aufkeimen. Die Möglichkeit, sich mit anderen zu messen, zeigt dem Kind, wo es steht, wo noch Fortschritte gemacht werden können und auch, wo sich bereits Stärken etabliert haben. Sind Turnierambitionen intrinsisch motiviert, also aus dem Kind selbst gewachsen und nicht von außen auferlegt, dann liegt in ihnen großes Entwicklungspotenzial. Mehr denn je muss das Pferd mit seinen Bedürfnissen betrachtet werden, damit es nicht nur als Sportgerät wahrgenommen wird. Die Kinder sind angehalten, an ihrer Beziehungsfähigkeit zu arbeiten und Grenzen besser einschätzen zu lernen, und zwar sowohl die eigenen als auch die des Tieres. Zudem gilt es, sich mit (Versagens-)Ängsten auseinanderzusetzen, Kritik zu reflektieren und etwaigem „Verlieren“ dennoch etwas abgewinnen zu können, um sich weiterzuentwickeln. Es wird deutlich, wie anspruchsvoll, vielschichtig und entwicklungsfördernd das Zusammensein mit Pferden für Kinder sein kann. Ganz gleich, in welcher Wachstumsphase sie sich befinden: Pferde sind Unterstützer, Motivatoren und Freunde, die stets ehrlich, deutlich, naturverbunden und gegenwärtig agieren. Sie sind nicht nur ein beliebiges Hobby, sondern eine Lebenseinstellung, von der Kinder genau wie Erwachsene stark profitieren.  

Text: Dipl.-Päd. Susanne Kreuer, Foto: A. Schmelzer