Kann mein Pferd leisten, was ich ihm abverlange?

Saisonstart 2020

Egal, ob Sport- oder Freizeitreiter, die Tage werden wieder länger und die Winterpause ist für die meisten Pferde bald vorbei. Viele Reiter fangen aufgrund fehlender Trainingsmöglichkeiten im Winter wieder komplett neu an, andere steigern das Winterniveau wieder auf Turnierlevel. Und viele beginnen in diesem Jahr ihre erste Berittsaison. Doch kann mein Pferd auch wirklich leisten, was ich ihm abverlange?  

Tierärztin Sabrina Moreis gibt wertvolle Tipps, worauf VOR dem Start in die Reitsaison geachtet werden sollte. 

Von Natur aus als Fluchttier geboren, neigen die meisten Pferde tendenziell dazu, Schmerz nicht zu zeigen, sondern vielmehr zu kompensieren. Dies geht oft einige Jahre so, bis sich so große Probleme manifestiert haben, dass häufiger medizinisch größere Eingriffe durchgeführt werden müssen als Präventivmaßnahmen vor und während des Beritts oder Trainings. 

Was sollte also routinemäßig jede Saison gecheckt werden? 

Allgemeinuntersuchung

Zuallererst sollte der Allgemeinzustand des Pferdes überprüft werden. Neben einer klinischen Untersuchung (Herz, Kreislauf, Lunge usw.) sollte eine neutrale Person einschätzen, in welcher Verfassung das Tier ist. Nicht in jedem Alter sind alle Pferde gleich entwickelt, manch eines steht einfach noch hintenan und ist eventuell erst in der nächsten Saison reitbar/einsetzbar. Dies betrifft den körperlichen wie auch den psychischen Entwicklungsstand des Pferdes. Nur ein absolut gesundes Pferd mit ausgeglichener Psyche und passenden körperlichen Voraussetzungen sollte geritten werden. 

Blutuntersuchung

Wünschenswert ist es, bei jedem Pferd gleich welchen Alters einmal im Jahr eine Blutuntersuchung durchzuführen. Die meisten Praxen bieten je nach Nutzung spezielle Profile an. Wichtig sind hierbei ein allgemeiner Organ- sowie Spurenelemente-Check. So kann das Pferd auch auf seinen Fütterungszustand bzw. eventuelle Mängel überprüft werden. Fehlendes kann gegebenenfalls durch entsprechende Futterzusätze ergänzt oder Überschuss durch entsprechende Maßnahmen reduziert werden.  

Gerade bei Jungtieren ist dies von großer Bedeutung. Weitere spezielle Blutuntersuchungen vor und während des Trainings können Aufschluss über den Trainingsverlauf geben (Lactatbestimmungen etc.), um neben der Korrektheit des Reitens auch frühzeitig Kompensationen zu erkennen, die über kurz oder lang zu Schädigungen des Gewebes führen können. 

Zahnstatus

Wie man in der Humanmedizin heute weiß, spielt die Zahngesundheit für den gesamten Organismus eine ausschlaggebende Rolle. Beim Pferd ist eine Balance zwischen Schneidezähnen, Backenzähnen und Kiefergelenk von entscheidender Bedeutung. Bis zum Ende des Zahnwechsels sollte jedes Pferd zweimal jährlich, anschließend einmal jährlich kontrolliert werden. So kann entstehenden Wellen und Stufen von klein auf entgegengearbeitet und damit das Kiefergelenk und die mit den Kauschlägen verbundenen Organe entlastet werden. Nicht erklärbare Verspannungen, Wehrhaftigkeiten oder gar Unrittigkeit haben häufig hier ihren Ursprung. 

Bei einer Zahnuntersuchung sollte auf vorhandene Wolfszähne untersucht, Hengstzähne auf Durchbruch gecheckt und das gesamte Gebiss auf eine ausgeglichene Drei-Punkt-Balance mit ungestörtem Kauvorgang überprüft werden. Auch festsitzende Zahnkappen (Milchzähne) können zu einem erheblichen Problem führen. 

Bewegungsapparat

Um ein Pferd auszubilden und zu reiten, braucht es gewisse körperliche Voraussetzungen. Wenngleich vor allem Quarter Horses bereits sehr früh in ihrer Entwicklung sehr weit sind, so muss jedes Tier als Individuum gesehen werden. Hierzu gehört die Überprüfung auf eine wirklich tragfähige Bauchmuskulatur. Im Idealfall sollte ein Pferd an der Hand schon soweit gearbeitet worden sein, dass es durch Arbeit der Bauchmuskeln den Reiter tragen und somit die Wirbelsäule entlasten kann. Ist dies nicht der Fall, so sitzt häufig ein zu schwerer Reiter auf einem Pferd, das noch nicht in der Lage ist, diesen physiologisch korrekt zu tragen.  

Es bedarf schon eines sehr guten, erfahrenen Reiters, um ein junges Tier so reiten zu können, dass es vom Tragen durch den Rücken zum Tragen durch die Bauchmuskeln umtrainiert werden kann. Hier kann ein Chiropraktiker/Physiotherapeut dem Besitzer oder Trainer wichtige Übungen zeigen bzw. ihn darauf aufmerksam machen, dass das Pferd (noch) nicht in der Lage ist zu leisten, wofür es in Beritt gegeben wurde.  

Hier ist auch ein Umdenken der Pferdeeigentümer wünschenswert, da gerade im Westernsport junge Pferde in hochdotierten Prüfungen starten und häufig Trainer unter enormen Druck gesetzt werden. So liegt es absolut in der Verantwortung von Trainer und Eigentümer, das Tier vernünftig zu beurteilen/beurteilen zu lassen. 

Außerdem sollte das Pferd auf vorhandene Einschränkungen der Mobilität bzw. Blockaden gecheckt werden, um ihm einen fairen Start in die Reiterwelt zu ermöglichen. 

Beschlag & Hufbearbeitung

Die teuersten Pferde haben oft die schlechtesten „Schuhe“. Häufig wird auf so vieles geachtet, doch die Hufe treten – im wahrsten Sinne des Wortes – völlig in den Hintergrund. Von Fohlen auf sollten die Tiere vernünftig ausgeschnitten und regelmäßig von einem guten Schmied kontrolliert werden. 

Fehlstellungen kann somit oft frühzeitig entgegengewirkt und ein korrekter Bewegungsablauf ermöglicht werden. Zu lange Zehen, untergeschobene Trachten usw. führen zu einem veränderten Bewegungsmuster, was sich in Verspannungen und Schmerzen manifestieren wird. 

Text: Sabrina Moreis, Foto: A. Bozai