Lena, Starlight, Raven und Floren geben neuen (Lebens-)Mut!
Mein ganz besonderes American Quarter Horse
Pferde haben Reittherapeutin Andrea Klotsch von klein auf fasziniert. Wie viele Pferdefreunde lernte sie nach ihrem Einstieg in die „Englischreitweise“ schließlich das American Quarter Horse kennen und war innerhalb kürzester Zeit von der Rasse begeistert.
Neben der Athletik und Leistungsbereitschaft waren es der wunderbare Charakter und die außergewöhnliche Persönlichkeit dieser Pferde, die Andrea noch heute ins Schwärmen bringen: „Nie zuvor hatte ich Pferde kennengelernt, die sich vor nichts erschreckten und die durch nichts aus der Ruhe zu bringen waren.
Die Gänge waren ein absoluter Traum, angenehm zu sitzen und bequem zu reiten. Dazu hatten sie die ideale Größe, um einen Erwachsenen zu tragen und waren trotzdem klein genug, um sich von einem Kind händeln zu lassen.“
Alles begann vor 16 Jahren
Von ihren ersten Gehältern als Erzieherin kaufte Andrea das Fohlen ihres Reitbeteiligungspferdes. Und so begann alles mit Lena vor über 16 Jahren. Der Charakter und das besondere Wesen dieses Pferdes brachten die junge Frau auf die Idee, therapeutisches Reiten mit AQHs anzubieten. Absolut dem Menschen zugewandt, liebenswürdig, freundlich, arbeitswillig, aber auch mit einem eigenen Kopf – die kompakten Pferde überzeugten sie damals und daran hat sich bis heute nichts geändert. Deshalb hat Andrea Klotsch mit vier Pferden ihren Traum zum Beruf gemacht.
Im Herbst 2020 rief sie die „Aktion Herzenspferd“ ins Leben: Dieses Projekt hat während der Corona-Zeit Menschen in schwierigen Lebenssituationen unterstützt und ihnen die Möglichkeit gegeben, Zeit mit ihren American Quarter Horses zu verbringen und so einen Ausgleich zu der sehr fordernden Zeit zu schaffen. Andreas Kontakt zu vielen Familien mit Kindern zeigte ihr die Schwierigkeiten der Familien und die Nöte der Kinder: Plötzlich war alles anders, lernen zu Hause vor dem PC, dazu Bewegungsmangel und eingeschränkte Sozialkontakte, keine Möglichkeit, sich mit anderen Kindern zu treffen, auszutoben und zu spielen. Eltern unter Stress und Zeitdruck, da diese wiederum alles, von den Kindern, Partnerschaft, Haushalt bis zum Job unter einen Hut bringen mussten.
Ihre „Aktion Herzenspferd“ ermöglichte es Menschen in schwierigen Lebenssituationen, unbeschwerte Stunden mit Pferden zu verbringen. Dadurch zeigte es sich immer wieder, dass es schon möglich ist, in wenigen Stunden durch den Kontakt mit Pferden etwas für das einzelne Kind, den einzelnen Menschen zu ändern.
Erlebnis-Coaching mit American Quarter Horses
Aus dieser Situation ist das Erlebnis-Coaching entstanden. Erlebnis-Coaching, was ist das? Dabei geht es Andrea in erster Linie darum, den Menschen über das Pferd wieder in Kontakt mit sich selbst und mit seiner Umwelt zu bringen. Es geht um stärkende und hilfreiche Erlebnisse mit Pferden, die uns Menschen helfen, unseren Alltag besser zu bewältigen. „Pferde haben einen hohen Aufforderungscharakter. Sie laden uns ein, mit ihnen Kontakt aufzunehmen, sie zu beobachten, zu streicheln und Zeit mit ihnen zu verbringen“, so die Therapeutin.
Den Pferden sei es völlig egal, wer jemand gestern war oder wer er gerne morgen sein möchte. Sie erkennen den Menschen so, wie er in diesem Augenblick gerade ist. „Ein Pferd gibt Dir immer ehrlich Feedback und es interessiert sich nicht dafür, ob Du Markenklamotten trägst, tätowiert bist oder irgendwie anders ausschaust“, bekräftigt Andrea Klotsch.
Allein das ist schon eine Erfahrung, die sehr hilfreich für die Menschen ist, die zu ihr kommen. Angenommen werden, so sein dürfen wie sie wirklich sind. Sich im Umgang mit dem American Quarter Horse zu verstellen ist kontraproduktiv, das Pferd spürt sofort, wenn etwas nicht authentisch ist und wird darauf reagieren. Das Pferd nimmt intuitiv Stimmungen wahr, fängt nonverbale Signale wie Gesten, Blicke und Bewegungen auf und reagiert darauf. Die Mensch-Tier-Beziehung ist geprägt durch ein Verstehen ohne Worte. Die Reaktion eines Pferdes auf das eigene Verhalten können viele Menschen viel besser als Feedback annehmen als die Worte oder Reaktion eines Mitmenschen. Dadurch entstehen übertragbare Lernprozesse, die im Umgang mit den Mitmenschen helfen können.
Berührung und Nähe
Viele Kinder und Erwachsene haben ein großes Bedürfnis nach Berührung und Nähe. Die meisten Pferde genießen Körperkontakte beim Bürsten, Streicheln und Kuscheln. Dadurch nimmt die Zeit mit den Pferden Einfluss auf die Psyche des Menschen und kann einen günstigen Effekt auf das körperliche Wohlbefinden ausüben.
Im Mittelpunkt der Arbeit mit ihren AQHs steht immer der einzelne Mensch mit seinen Bedürfnissen, Stärken und Schwierigkeiten. Durch verschiedene Übungen mit dem Pferd oder auf dem Pferderücken arbeitet Andrea mit ihren Kunden daran, Stärken noch mehr auszubauen, Problemlösestrategien zu entwickeln und die Ressourcen des Menschen zu aktivieren.
Ein Beispiel aus dem Therapie-Alltag
Das Kind darf sich zuerst ein Pferd aus der Herde aussuchen. „Alle meine Pferde sind als Therapie-Pferde ausgebildet, unterscheiden sich aber trotzdem charakterlich sehr“, erklärt Andrea. „Da gibt es die ruhige, umsichtige 21-jährige Leitstute Floren, die mit ihrem mütterlichen Charakter für Kinder anziehend wirkt, die jemanden brauchen, der sich umsichtig um sie kümmert. Dann gibt es die 16-jährige Lena, die sehr temperamentvoll ist und richtig Power hat. Lena wird oft von eher zurückhaltenden, ängstlichen Kindern gewählt, die sich etwas von Lenas Mut und Power „ausleihen“. Dann gibt es noch die freundliche Starlight, die lieber stehenbleibt als einen Schritt zu viel zu machen. Und die junge, erst vierjährige Raven, die mit ihrem frechen, neugierigem Wesen begeistert. Je nachdem, welches Pferd gewählt wird, gestalten wir unsere Stunde.“
Pferdepflege und Putzen gehören immer mit dazu, das dient der ersten Kontaktaufnahme und dem Vertrauensaufbau. Danach gestaltet Andreas gemeinsam mit dem Kind einen Parcours aus verschiedenen Stangen und Pylonen auf dem Reitplatz. Das Kind überlegt sich, wie es ihn am besten gemeinsam mit dem Pferd bewältigen kann. Dann wird ausprobiert: Klappt es? Oder muss das Vorgehen abgeändert werden? Welche Gefühle kommen dabei hoch? „Wir arbeiten daran, bis das Kind damit zufrieden ist. Das Erfolgserlebnis, selbst eine Lösung erarbeitet zu haben und mit seinen Gefühlen in Kontakt gekommen zu sein, kann das Kind dann wiederum mit in sein Umfeld nehmen. Sein Selbstvertrauen und seine Selbstwahrnehmung werden dadurch gestärkt, was sich positiv auf das Wohlbefinden auswirkt“, berichtet die Therapeutin aus ihrer Erfahrung. Natürlich kommt auch die Entspannung nicht zu kurz.
Individuell, je nach Person und Wünschen gibt es bei Andrea Klotsch verschiedene Möglichkeiten, mit dem American Quarter Horse zur Ruhe und in die Kraft zu kommen: auf einem Handpferd oder selbstständig im Gelände reiten, sich auf den Pferderücken legen u. v. m. „Ich denke, jeder, der einmal die Möglichkeit hatte, Zeit mit einem Pferd zu verbringen, kann bestätigen, wie wohltuend und entschleunigend es sein kann, eine Pferdeherde zu beobachten, ein Pferd zu streicheln oder sich von einem Pferd tragen zu lassen“, schwärmt Andrea.
Aus ihrer Erfahrung wirken Erlebnisse mit ihren AQHs noch lange nach. Im besten Fall nimmt man ein wunderbares Erlebnis mit, das einen in vielen schwierigen Situationen stärkt und unterstützt. Denn wer sich intensiv mit Pferden beschäftigt, hat Freunde fürs Leben gewonnen, vor allem, wenn es American Quarter Horses sind!
Text: Friederike Fritz/Andrea Klotsch, Foto: Andrea Klotsch