„This Land Is Your Land…“

Home on the Range Teil 5

„This land is your land and this land is my land
From California to the New York Island
From the Redwood Forest to the Gulf Stream waters
This land was made for you and me…“

Als der legendäre Liedermacher Woody Guthrie dieses weltberühmte Lied im Jahr 1940 schrieb, war es als Parodie auf Irving Berlins „God Bless America“ gedacht. Inzwischen hat es sich zur heimlichen Hymne des amerikanischen Westens gemausert, eine Region, in der weite Teile trotz aller menschlichen Eingriffe immer noch von Wildnis geprägt sind.

Millionen Menschen besuchen Jahr für Jahr „The Great Out-doors“, die grandiosen Landschaften im Westen Nordamerikas. Gerade Besucher aus Europa werden immer wieder von den gigantischen Bergen und dichten Wälder, den scheinbar lebensfeindlichen Wüsten und glasklaren Seen, dem wogenden „Gräsermeer“ der Prairie und dem endlosen Horizont in den Bann gezogen.
Für Durchreisende mag dieses Land unberührt und wild erscheinen, es war und ist jedoch nicht menschenleer. Seit Jahrtausenden sind hier indigene Völker zu Hause, zu denen sich im Laufe der letzten Jahrhunderte Abenteurer, Siedler, Rancher und Cowboys und Cowgirls gesellten. Gerade letztere entwickelten über Generationen ein ganz spezielles Verhältnis zum Land: Es mag wild sein, das Wetter oft unberechenbar und extrem, doch der Respekt und die Ehrfurcht gegenüber der Natur, der Umgebung, die seit Generationen für viele Rancherfamilien Heimat bedeutet, ist groß.

Vielfalt und Größe

Der amerikanische Westen ist alles andere als einheitlich. Mehrere markante Landschaften prägen das Bild: Zwischen dem Mississippi-Tal und den Bergketten der Rocky Mountains die Great Plains mit Prärielandschaft einerseits, Flussläufen, Badlands und Hügelketten andererseits. Die Rocky Mountains ziehen sich über etwa 2.250 km Länge von New Mexiko bis nach Montana und fungieren als Wasserscheide, als „Great Divide“. Westlich der Rockies breitet sich die intermontane Zone bis zum pazifischen Gebirgssystem aus. Es gliedert sich in Becken und Hochplateaus wie das Columbia Plateau im Nordwesten, das Great Basin in Nevada oder das Colorado Plateau im Südwesten.

„Public Land“ – Land der Bürger

2022 feiert der Yellowstone National Park seinen 100. Geburtstag. Im Jahr 1872 hatte der US-Kongress zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ein großes Areal unter Naturschutz und damit unter staatliche Aufsicht gestellt.
Genaugenommen war der Yellowstone National Park aber gar nicht der erste Naturschutzpark: Schon 1864 hatte US-Präsident Abraham Lincoln jenes Stück Land in Kalifornien, das später zum Yosemite Nationalpark werden
sollte, als schutzwürdig erklärt.
Bis heute ist die Zahl der Nationalparks in den USA auf 63 angewachsen. Seit 1916 obliegt die Verwaltung aller Naturschutzgebiete dem National Park Service (NPS). Er wurde damals durch den „National Park Service Organic Act“ als Behörde dem Innenministerium (Department of the Interior) – nicht den einzelnen Bundesstaaten! – unterstellt und gilt damit als die älteste Umweltschutzbehörde der Welt. Derzeit betreut der NPS insgesamt 423 ganz unterschiedliche Schutzgebiete: National Parks, National Historical Parks und Sites, National Monuments und Memorials, Battlefields und Military Parks, National Preserves und Recreation Areas, National Seashores und Lakeshores, Reserves und Parkways. Darüber hinaus kann jeder der 50 Bundesstaaten eigene Schutzgebiete – State Parks – ausweisen.
Insgesamt sind inzwischen von den etwa 9,8 Mio. qkm Landfläche der USA über 2,8 Mio. „Public Land“ und davon stehen wiederum rund 900.000 qkm unter Schutz. Über ein Viertel der USA ist demnach öffentliches Land, im
Westen sind es sogar fast zwei Drittel der Landfläche. Davon unterstehen rund 340.000 qkm dem NPS. Seit dem
„Wilderness Act“ von 1964 kann die Regierung zudem Wildnis-Areale ausweisen. Gegenwärtig gehören zum
National Wilderness Preservation System über 800 Gebiete, insgesamt mehr als 450.000 qkm. Sie sollen so gut wie unberührt bleiben, verfügen also über fast keine Infrastruktur und Besucher werden nur in streng reglementierter Zahl geduldet. Der Großteil des Public Land wird von drei Behörden verwaltet: BLM (Bureau of Land Management) und FWS (U.S. Fish and Wild-life Service) – beide Teile des Innenministeriums – sowie USFS (U.S.
Forest Service) aus dem Landwirtschaftsministerium.

Wem gehört die Wildnis?

Klingt alles gut organisiert und vorbildhaft, doch es herrscht nicht immer eitel Sonnenschein in den Weiten des Westens. Während Besucher einige der Naturgebiete überfluten, Naturschutzgruppen noch mehr Schutzgebiete fordern und in vielen Regionen, gerade im Umfeld der Städte, der Siedlungsdruck zunimmt, geraten vielfach
Rancherfamilien im Westen zwischen alle Fronten.
In den klassischen Cowboy-Staaten gehört die Mehrheit des Landes dem Staat, wird also von Washington D. C. aus verwaltet, meist vom BLM. In Nevada sind dies über 80 %, in Utah, Idaho und Oregon über 50 %, in Montana, Colorado, Arizona, New Mexiko, Kalifornien und Washington State zwischen 30 und 50 %. Dagegen verfügen die meisten Rancher selbst nur über wenig Land, müssen also Ländereien für ihr Vieh dazu pachten.
„Wir haben ein gutes Verhältnis zu den Leuten vom BLM“, berichtet beispielsweise Bill Wright. Mit seinen Söhnen betreibt er eine Ranch im Südwesten Utahs, am Rande des berühmten Zion National Parks. Seit Generationen lebt die Familie nahe der Smith Mesa und züchtet Rinder. Um nachhaltig wirtschaften zu können, müssen die Wrights ihre Herde regelmäßig von Weide zu Weide treiben, auf Land, das überwiegend vom BLM gepachtet wird.

Die Sagebrush Rebellion

Doch nicht immer ist es so einfach. Konflikte um Weide- und andere Nutzungsrechte auf dem ausgedehnten Staatsland stehen auf der Tagesordnung und diese werden nicht nur vor Gericht ausgetragen. 1995 explodierte beispielsweise eine Bombe in einem Büro der Forstverwaltung. 2014 eskalierte der von den Medien als „Sagebrush Rebellion“ bezeichnete Widerstand einiger Rancher. Damals lieferten sich der Rancher Cliven Bundy und seine Familie im Südosten Nevadas mit dem BLM und dem FBI eine regelrechte Schlacht.
Kein Hollywood-Film hätte die Ereignisse besser darstellen können. Die Bundys weigern sich bis heute, Pacht zu bezahlen und berufen sich auf die Verfassung. Ihrer Ansicht nach gehört „Public Land“ dem Volk und kann deshalb frei genutzt werden. Als die Behörden die Rinderherde der Bundys wegen der ausstehenden Pacht konfiszieren wollte, kam es damals zu Schießereien zwischen Familienmitgliedern, BLM und FBI. Die Bundys waren auch an der Besetzung des Malheur National Wildlife Refuge im Südosten Oregons Anfang 2016 beteiligt. Auslöser für diesen gewaltsamen Übergriff war ebenfalls ein Streit zwischen einer Rancherfamilie und den Behörden um Pachtland. Die Besetzung endete mit der Verhaftung einiger Besetzer, während der eine Person erschossen wurde.
Eines machen diese Fälle jedenfalls deutlich: Die Cowboys lieben ihre Land, ihre Freiheit und ihren Job. Und dafür sind sie bis heute bereit zu kämpfen.

Es geht auch anders: „The Last Cowboys“

Dies ist der Titel eines Buches über die oben erwähnte Rancherfamilie Wright. Der New York Times-Journalist John Branch hat über Jahre die Familie besucht und an ihrem Leben teilgenommen. Bill Wright hat ihm dabei immer wieder die Schönheit der Landschaft im Südwesten Utahs mit seinen Mesas und Canyons gezeigt, allerdings nicht, ohne jedes Mal anzumerken: „Schönheit bezahlt keine Rechnungen“. Ja, er habe des Öfteren darüber nachgedacht, doch Aufgeben ist keine Option für die Wrights.
Um die finanzielle Lage zu verbessern, nehmen seine Söhne schon seit Jahren am lukrativen professionellen Rodeo-
Betrieb teil. Den Anfang machte Cody Wright, der mehrmals World Champion im Saddle Bronc-Riding wurde. Ihm folgten seine Brüder Jesse, Jake und Spencer. Inzwischen dominieren Codys Söhne Rusty, Ryder und Stetson die Rodeo-Szene und tragen dazu bei, dass die Wrights bereits jetzt als eine der bedeutendsten Rodeo-Familien in der Geschichte gilt.
Und dennoch, trotz des zweiten Standbeins und der Gewinnprämien ist ihre Zukunft als Cowboys unsicher. Ihre rund 485 Hektar erscheinen auf den ersten Blick viel, doch wer schon einmal im Süden Utahs war, weiß, dass das Land hier kein ideales Weideland ist. Rindergruppen sind hier oft in den entlegensten Winkeln unterwegs, um Futter zu finden. Die Wrights pachten daher über 8.000 Hektar vom BLM dazu, um den Tieren genügend Nahrung zu bieten, aber auch, um das Ökosystem der Hochwüste durch extensive Beweidung – wie es hier schon seit Jahrtausenden Wildtiere taten – zu erhalten.
Trotzdem wird es selbst in einer entlegenen Region wie Smith Mesa immer enger. Da tauchen plötzlich Bauunternehmer auf, die von den Wrights Land erwerben möchten, um hier Wohn- und Feriengebiete zu errichten. Dann fordern Umweltschutzorganisationen, dass mehr Land unter Schutz gestellt wird. Doch die Wrights wollen sich, wie viele Cowboys und Cowgirls im Westen, der Zukunft stellen und gleichzeitig ihre Heimat schützen – was sicherlich keine leichte Aufgabe ist!

Text: Dr. Margit Brinke, Dr. Peter Kränzle