Auf dem Pferderücken durch Montana

Lass die Träume leben

Gibt es überhaupt noch eine Zeitschrift am Kiosk zu finden, in der es nicht um Selbstverwirklichung und das Ausleben der Lebensträume geht? Dennoch gestaltet sich die Umsetzung dieser Lebenseinstellung häufig schwierig und manch einer sieht sein Vorhaben schon im Keim erstickt. Ganz anders Julia Behringer, die es schaffte, sich raus aus der Krise, rein ins pralle (Western-)Leben zu katapultieren. Natürlich auf dem Pferderücken…

„Es war ein gewöhnlicher grauer Wintersonntag. Der Tag begann in den frühen Morgenstunden, ohne auch nur den leisesten Anschein zu erwecken, dass heute irgendetwas Besonderes geschehen könnte. Ich saß daheim im Schwabenland mit einem Becher Cappuccino in der Hand auf meinem guten weißen Sofa und blickte einsam und gedankenverloren in den Garten.“

Dies sind die einleitenden Sätze aus Julia Behringers Buch „Barbecue mit Indianern“ (Bastei Lübbe Verlag) – die Geschichte einer erfolgreichen Finanzmanagerin, die in ihrem Leben vollkommen den Sinn und die Orientierung verloren hatte. Julia wird 1975 in einem winzigen Dorf bei Tübingen geboren. Sie wächst zwischen Bauernhöfen inmitten von Natur und Landwirtschaft auf und entwickelt schon früh eine ausgeprägte Vorliebe für Wild-West-Geschichten und natürlich mehr als alles andere für Pferde. Als Teenager lebt sie mit ihrer Familie einige Jahre in den USA, lernt die grenzenlosen Weiten der amerikanischen Prärie und die sagenumwobenen Gebirgszüge der Rocky Mountains kennen. Nach ihrem Studium der Wirtschaftswissenschaften arbeitet sie in amerikanischen und deutschen Groß-konzernen. 2012 tritt sie eine lange Reise in das Herz des amerikanischen Westens an, ein Abenteuer, das ihr Leben für immer verändern wird. Kurz darauf lernt sie ihren heutigen amerikanischen Ehemann kennen und das Schicksal nimmt seinen Lauf, denn Julia Behringer wird ihrem alten Leben für immer den Rücken kehren.

Die folgenden Zeilen der Einleitung beschreiben, wie Julia an diesem grauen Wintersonntag nach ihrer Lieblingszeitschrift greift und auf einer wahllos aufgeschlagenen Seite liest: „Wenn Sie die Orientierung in Ihrem Leben verloren haben, blicken Sie zurück in Ihre Kindheit, auf die Wünsche, Ziele und Träume, die Sie damals hatte. In Zeiten, in denen das Leben wie eine ausweglose Sackgasse erscheint, ist man gut beraten, bei seinen Kindheitsträumen mit dem Leben wieder anzusetzen“.

Diese Worte treffen Julia tief ins Mark. Die beruflich erfolgreiche, aber zweifelnde und mit ihrem damaligen Leben hadernde Finanzmanagerin erkennt augenblicklich, dass der Artikel die Wahrheit sagt und dass sie seinen Rat befolgen muss. Sie versetzt sich zurück in ihre Kindheit, schwelgt in ihren damaligen Träumen von Cowboys und Indianern, von ihrer Lieblingsserie Bonanza, all den schönen Wälzern von Winnetou und Old Shatterhand in ihrem Bücherregal, von Pferden und den Weiten der amerikanischen Prärie. Sie denkt zurück an ihr geschecktes Shetlandpony Tafti, mit dem sie einst stundenlang durch die Naturschutzgebiete des Schwabenlandes ritt, am liebsten verkleidet als Cowgirl. Noch am selben Tag ist ihre Entscheidung gefällt. 

Sie wird ein langes Sabbatical einreichen und aussteigen, abhauen, ausbrechen, durchstarten. Aber wohin nur? Natürlich in den Wilden Westen der Vereinigten Staaten, in das Herz dieses mächtigen Kontinents, in die unberührte Wildnis von Montana. 

Benchmark, Montana, ein Omen?

Ihr erster Reiseabschnitt sind die Rocky Mountains im Norden Montanas, nur wenige hundert Kilometer unterhalb der kanadischen Grenze. Der Ort Benchmark fernab der Zivilisation am Fuße dieser gigantischen Gebirgskette ist der Startpunkt einer großen Expedition zu Pferd, der sich Julia und ein paar amerikanische Abenteurer angeschlossen haben. Auf einen Reiter zu Pferde kommen vier Maultiere, die die Küchen- und Angelausrüstungen, Zelte, Schlafsäcke und vieles mehr tragen. Nur das Nötigste darf mit, denn der lange Treck aus vierzig Tieren wird fast die ganze Rocky Mountain Gebirgskette überqueren, auf schmalen Gebirgspfaden, durch reißende Flüsse und über gefährliche Schneefelder. Die kleine Gruppe wird durch die Bob Marshall Wilderness reiten, ein riesiges Naturschutzgebiet von viertausend Quadratkilometern, und auch durch das Gebiet der Scapegoat und der Great Bear Wilderness sowie durch den Lewis and Clark National Forest. Julia hat ihre Handtasche mit Bargeld, den Kreditkarten, Schminke und Handy bei einer Bekannten abgegeben. Hier draußen braucht sie nichts als ihre warme Gebirgskleidung, den Polarschlafsack, ihren Kompass, das Bärenabwehrspray, eine Erste Hilfe Ausrüstung, ihren Sattel und ihren treuen Wallach Greenlegs. 

Ich bin dann mal weg…

Schon nach wenigen Tagen in der unberührten Wildnis fällt all die Last der vergangenen Jahre von Julia ab. Ihre Einsamkeit schwindet, denn hier im Gebirge trifft sie auf Gefährten und gleichgesinnte Seelenverwandte, die Pferde, die Maultiere, die Hunde und natürlich ihre abenteuerlichen Mitreiter. Auch die sind nicht einfach mal so in die Rockies aufgebrochen, nein, alle haben einen Grund, hier zu sein, alle suchen nach Wandel in ihrem Leben, nach Orientierung. Die Tage werden zu Wochen und die Wochen zu Monaten. Es gibt kein Vorgestern und kein Übermorgen, es gibt nur das Hier und Jetzt am White River, die Pferde, die Zelte. Das Schwabenland ist Lichtjahre entfernt, nichts hat hier draußen mehr eine Bedeutung. Die wunderbare Leere und wohlige Stille hat Raum geschaffen für Gedanken, für die in der Großstadt und in der Hektik des Alltags nie Platz war. Es bilden sich Wege und Strukturen in Julias Geist während der langen Ritte – zwischen sechs und neun Stunden verbringt sie am Tag im Sattel. Es formen sich Wünsche und Ziele, mögliche Lebenswege, die gegangen werden können. Und das Abenteuer Leben beginnt für die schwäbische Geschäftsfrau, hier, in den unberührten Weiten der Rocky Mountains… 

Nach Monaten im Sattel zurück am Außenstützpunkt Benchmark zieht Julia weiter, die lange Reise ist noch nicht vorbei. Sie hat sich auf einer Ranch mit zweitausend Rindern anheuern lassen, unten im Süden von Montana, im Yellowstone Delta. Dort wird sie ein Handlanger sein, eine schlechtbezahlte Arbeitskraft, die im Dreck schuftet für Kost und Logis. Mit dem Greyhound Bus fährt sie hinab in die wärmeren Zonen Montanas und der zweite Teil ihres großen Abenteuers beginnt. 

Fast wie Bonanza

Kaum auf der Lonely Horseshoe Ranch angekommen, fühlt sich Julia geradezu in ihre Kindheitsträume und die Bonanza-Serie hineinkatapultiert. Ihre Arbeitskollegen sehen den Brüdern aus ihrer Lieblingsserie wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich und auch die Charaktere weisen diverse Parallelen auf. Zwischen dem Betreuen von riesigen Rinderherden, dem Ausheben von Gräben, dem Zäune flicken, Lederzeug putzen und Pferde operieren findet Julia ihr lang verschollenes Glück. Sie tanzt den Two-Step in den lokalen Westernbars, nimmt Teil an Cattle Drives und bildet sogar Jungpferde aus. 

Pferdeflüstern inklusive

Doch Julia ist nicht der einzige Gast auf der Lonely Horseshoe Ranch. Um zahlreiche Jungpferde und auch ein paar zahlende Schüler zu trainieren, haben die Eigentümer einen bekannten Pferdeflüsterer aus Tennessee engagiert. Der charismatische Trainer namens Jason ist Julia anfangs etwas unheimlich, schließlich ist sie seit bald dreißig Jahren überzeugte Dressurreiterin, doch nach ein paar Tagen der heimlichen Beobachtung bittet sie den Horseman, am Ausbildungsprogramm teilnehmen zu dürfen. Und hier beginnt der nächste Schritt ihrer Wandlung: Viele Stunden täglich steht Julia in der sengenden Hitze mit den zweijährigen Junghengsten am Führstrick vor bunten Planen auf dem Boden und versucht, die vierbeinigen Teenager zu überzeugen, sie als Partner zu akzeptieren und ihr über den bedrohlichen Untergrund zu folgen. Manchmal dauert es Stunden, bis die scheuen Pferde, die bislang in der Wildnis aufgewachsen waren, verstehen, dass es Sinn macht, sich dem Menschen anzuschließen und ihm zu vertrauen.

Auf der Lonely Horseshoe Ranch taucht Julia immer tiefer ein in die archaische Welt des Wilden Westens. Sie lernt Angehörige des Stammes der Crow kennen und darf seltene Einblicke gewinnen in die faszinierende, urtümliche Kultur und das entbehrungsreiche Leben dieses abgeschiedenen Volkes. Auf einer ausgedehnten Tour durch die Pryor Mountains trifft Julia mitten im Niemandsland des Reservats der Crow auf Bärbel, eine schwäbische Seelenverwandte, die schon vor dreißig Jahren in diese Abgeschiedenheit ausgewandert ist. Bärbel ist Rancherin, Medizinfrau und Tierärztin aus der Not heraus. Eine tiefe Freundschaft beginnt zwischen den beiden Frauen und Bärbel wird Julias Anker in Montana und eine liebevolle Begleiterin und Wegweiserin in ihrem Leben. 

Ein Lebensplan entsteht

In den Prärien von Montana finden sich die letzten Puzzlestücke und Julia strickt sich ihren zukünftigen Lebensplan zusammen. Nun weiß sie endlich, wie es für sie weitergehen soll – sie will selbst Rancher werden, Rancher in Montana. Zunächst muss sie jedoch wieder zurück an ihren tristen Arbeitsplatz im Schwabenland. Aber sie weiß, hier kann sie nicht wieder anknüpfen. 

Zurück im Schwabenland meldet sich Julia unter großem Heimweh nach Montana in einem amerikanischen Club in Stuttgart an, um wenigstens ein bisschen amerikanischen Slang zu sprechen und sich ein wenig auszutauschen über all das Erlebte, denn ihr Freundeskreis zeigt wenig Verständnis für ihre Erfahrungen und Ideen. Nur wenige Clubveranstaltungen vergehen und nach einer Kunstführung lernt sie Mike aus Texas kennen. Auch er fühlt sich in Stuttgart vollkommen verloren und nimmt ab sofort jeden Samstag bei Julia und ihrem neuen Pflegepferd Reitunterricht. Schon bald wird aus Mike, dem Diplomaten, ein waschechter Cowboy und er reitet schon im folgenden Jahr gemeinsam mit Julia durch den Yellowstone National Park. 

Es ist eine Bewährungsprobe für Mike. Der ehemalige Soldat ist Wind und Wetter erprobt und Schnee, Nässe und die Minusgrade in der Wildnis machen ihm rein gar nichts aus. Er bringt jeden Morgen höchst vergnügt Hot Chocolate an Julias Schlafsack und so langsam kommt der schwäbischen Geschäftsfrau die Einsicht, dass sie diesen Prachtkerl heiraten möchte. Dann dauert es nur noch ein weiteres Jahr und das Wild-West-Paar gibt sich das Ja-Wort.

Der gemeinsame Traum: eine Guest Ranch

Einige Jahre sind nun schon ins Land gezogen und das abenteuerlustige Paar hat sie schweren Herzens in Deutschland zugebracht, denn das große Abenteuer im Wilden Westen inklusive Guest Ranch muss auf soliden finanziellen Füßen stehen. Jedes Jahr fliegen Mike und Julia für mindestens einen Monat nach Montana und schon im ersten 

Jahr zog Julia ein kleines dreifarbig geschecktes Stutfohlen mit der Flasche auf. Das Pferdekind hatte bei seiner Geburt in den Pryor Mountains seine Mutter verloren. Julia brachte es auf Bärbels Ranch im Crow Indianer Reservat, damit die kleine Stute dort auf sechstausend Hektar aufwachsen konnte. Julia nannte sie „Pretty Shield“ nach der letzten großen Medizinfrau der Crow Indianer. Heute ist Pretty Shield ein zuverlässiger Partner unter Julias Sattel. 

Die Zeiten ändern sich und damit die Pläne

Aber die Zeiten haben sich verändert. Die USA sind nicht mehr das gelobte Land der Offenheit und Toleranz wie noch vor einigen Jahren. Tiefe Risse ziehen sich durch die von uns einst so bewunderte Gesellschaft. Insbesondere in Montana scheint die Zeit seit einigen Jahren wie zurückgedreht: massenhaft Schusswaffen in allen Haushalten, Gewalt gegen Journalisten, Bedrohung liberal denkender Menschen sind heute an der Tagesordnung. Wie Julia und Mike mit all dem umgehen und wie sie ihren Lebensweg und den Traum von der eigenen Ranch weiter umsetzten, soll im nächsten Teil erzählt werden. Denn um sein Glück zu finden, muss man Flexibilität an den Tag legen und höchst kreativ den Umständen entsprechend agieren…

Text und Foto: Julia Behringer