Ist „getreidefrei“ wirklich die Lösung?

Stärke in der Pferdefütterung

Getreidefrei ist voll angesagt – nicht nur für kranke, sondern auch für Leistungspferde. Aber ist Getreidestärke tatsächlich grundsätzlich schlecht fürs Pferd? Und welche Futtermittel können die Kraftkörner als Energielieferanten ersetzen? Hier ein Überblick zum Thema „Stärke“.

Stärke ist ein Polysaccharid, also ein Mehrfachzucker, der der Pflanze als Speicherkohlenhydrat dient. Durch das in der Bauchspeicheldrüse produzierte Verdauungsenzym Amylase wird die Stärke im Dünndarm zerlegt und in den Einfachzucker Glukose umgewandelt, die unmittelbar über die Darmwand in den Blutkreislauf gelangt. Ein Teil der Glukose steht nun als Energiequelle zur Verfügung, der Rest wird als Energiereserve in Form von Glykogen in Muskulatur und Leber eingelagert. Das Problem: „Das Pferd verfügt nur über geringe Mengen körpereigener Amylase und kann im Gegensatz zu anderen Tierarten relativ wenig Stärke verwerten“, erklärt Dr. Kathrin Irgang. „Während beispielsweise das Schwein täglich 400 bis 600 Units pro Gramm Dünndarminhalt produziert, sind es beim Pferd nur 5 bis 40 Units pro Gramm, etwa so wenig wie bei einer Katze“, veranschaulicht die Tierärztin, die eine Beratungspraxis für Pferde- und Kleintierernährung betreibt.

Auf Art und Aufbereitung kommt es an
Allerdings bestehen im Hinblick auf den Stärkegehalt deutliche Unterschiede zwischen den gängigen Getreidearten. So enthält Hafer 393 Gramm und Gerste 530 Gramm Stärke pro Kilo. Mais weist einen Stärkegehalt von 612 Gramm und Dinkel 582 Gramm pro Kilo auf. Im Getreide steckt also zwischen 40 und 60 Prozent Stärke, deren Verdaulichkeit aber je nach Aufbereitung der Körner teils stark variiert. So liegt die Stärkeverdaulichkeit eines geschroteten Gerstenkorns nur bei 22 Prozent, gequetscht aber bei 75 Prozent. Auch die Maisstärke unbehandelter Körner ist für Pferde mit 29 Prozent ähnlich schwer verdaulich. Geschrotet wird Mais zu 47 Prozent, gepoppt sogar zu 90 Prozent verwertet. „Da bei Getreideschroten wegen der mehligen Konsistenz die Gefahr der Staubeinatmung und Magengeschwüre besteht, aber bei lediglich gebrochenen Körnern nicht viel Energie beim Pferd ankommt, sollten Gerste und Mais am besten hydrothermisch behandelt sein und etwa als gedämpfte Getreideflocken, also Cornflakes, oder gepoppt als Popcorn gefüttert werden“, empfiehlt Dr. Irgang.
Von der Gabe von Weizenarten rät die Ernährungsexpertin grundsätzlich ab, da sich die darin enthaltenen Klebereiweiße negativ auf die Verdauung auswirken und in größeren Mengen den Pferdemagen verkleistern können.
Dagegen ist Haferstärke fürs Pferd besonders gut verwertbar. „Man spricht nicht umsonst vom Pferd als Hafermotor. Die feinen Körner mit hohem Spelzenanteil werden in der Regel gut gekaut, sodass die Verdaulichkeit des ganzen Korns bei bis zu 80 Prozent liegt“, so Irgang. Nur für Fohlen und Jungpferde mit noch nicht voll entwickeltem Gebiss, für Pferde mit Gebissanomalien sowie für ältere Pferde mit Zahnproblemen sollten die Haferkörner aufbereitet werden, wodurch sich die Verdaulichkeit auf über 90 Prozent erhöht. „Da Quetschhafer durch die offene Schale aber anfällig für Keime und Pilze ist und schnell verdirbt, muss er binnen zwei Tagen verfüttert werden“, betont die Fachfrau für Pferdeernährung und rät deshalb zu Haferflocken, die länger haltbar und im Futtermittelhandel erhältlich sind.
Entgegen aller Vorurteile enthält Hafer aber nicht mehr Energie als andere Getreidearten. „Wenn der Hafer sticht, liegt das an der guten Verdauung der Haferstärke, wodurch dem Pferd schnell viel Energie bereitgestellt wird“, stellt Kathrin Irgang richtig. „Neuere Untersuchungen haben zwar ergeben, dass verschiedene Hafersorten auch zu unterschiedlich hoher Glukose-Anflutung nach der Mahlzeit führen. Meist ist aber nicht die rasch verfügbare Energie schuld, wenn Pferde durch Hafer heißspornig werden, sondern vielmehr die Menge des Krippenfutters“. Übrigens: Der wahre Grund für die zahlreichen haferfreien Produkte ist, „dass Hafer in vielen Pferdebetrieben selbst angebaut wird oder preisgünstig zugekauft und bei Bedarf ergänzt werden kann“, entkräftet Dr. Irgang einen weiteres Vorurteil, nach dem Hafer per se schlecht fürs Pferd sei.

Text: Birgt van Damsen

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