Hilfe bei Hufrehe

Wirksame Mittel

Gerade jetzt im Mai zu Beginn der Weidesaison mehren sich wieder die Fälle von Hufrehe. Aber es gibt auch wirksame Mittel, die Rehegefahr auf der Weide zu minimieren und schnelle Hilfe bei einem akuten Reheschub.

Als Hauptauslöser der Grasrehe gilt heute Fruktan, ein durch kontinuierliche Saatgutveränderung vermehrt auftretendes langkettiges Zuckermolekül, das dem Gras als Reservekohlenhydrat dient, um Ertragsverluste durch Dürre, Verbiss oder Frost zu vermeiden. Während Wiederkäuer, für die diese energiehaltigen Gräser zwecks Erhöhung der Milch- und Fleischproduktion gezüchtet wurden, keine Probleme mit diesem Mehrfachzucker haben, können Pferde Fruktan ähnlich wie Getreidestärke nicht ausreichend im Dünndarm verarbeiten.
Dadurch gelangt es in den Dickdarm, wo es durch Übersäuerung des Darminhalts ein massenhaftes Absterben nützlicher Mikroben verursacht. Die Folge: Es bilden sich körpereigene Giftstoffe (Endotoxine), die über die Darmwand in den Blutkreislauf geraten und in den fein verzweigten Kapillaren der Huflederhaut, genauer, in den zahnradartigen Lederhautblättchen (Lamella), die Hornwand und Lederhaut verbinden, eine Entzündung auslösen. Dauert die Entzündung länger als 96 Stunden (= chronische Hufrehe), kann sich diese Verbindung allmählich lösen und den Aufhängeapparat des Hufbeins (= Hufbeinträger) zerstören. Die Folge ist eine Lageveränderung des Hufbeins in Form einer Absenkung und/oder Rotation in Richtung Hufsohle.

Fruktangehalte im Mai am höchsten

Auf Weiden mit einem hohen Anteil fruktanhaltiger Gräser sollte deshalb die Grasaufnahme reheanfälliger Pferde nicht nur beim Anweiden, sondern während der ganzen Weidesaison begrenzt werden. Da permanent kurzes Abgrasen jedoch die Fruktanproduktion ankurbelt, eignet sich das Vortriebsverfahren mittels versetzbaren Elektrozauns nur, wenn ein zweiter Wanderzaun das Nachwachsen der abgegrasten Streifen gewährleistet. Auf eine zeitliche Beschränkung stellen sich einige Pferde wiederum schnell ein und reagieren mit zum Teil exzessivem Grasen. Da wird in einer Stunde schon mal doppelt bis dreimal so viel Gras aufgenommen als beim ganztägigen Weidegang. Mögliche Problemlösung: Individuell angepasste Fressregulatoren, die die Grasaufnahme effektiv reduzieren.
Auch Wetter und Jahreszeit sollten berücksichtigt werden. Weil intensive Sonneneinstrahlung die Fruktan-Anreicherungforciert, steigen die Fruktanwerte bis zum späten Nachmittag nach Aussagen zahlreicher Forscher stetig an, weshalb rehegefährdete Pferde bei dieser Wetterkonstellation rechtzeitig von der Weide geholt werden sollten. Bei bedecktem Himmel sinken die Fruktanwerte dagegen und sind nachts am niedrigsten, da bei Dunkelheit die hierfür notwendige Photosynthese fehlt. Nächtlicher Weidegang scheint also zumindest im Sommer eine echte Alternative für Pferde mit Rehe-Neigung zu sein.
Sicher verlassen kann man sich jedoch auf diese vielfach wissenschaftlich untermauerten Erkenntnisse über den Fruktangehalt im Gras jedoch nicht, denn andere Untersuchungen zeigen andere Ergebnisse, was die Tagesschwankungen von Fruktangehalten im Weidegras betrifft. Grund hierfür scheinen multifaktorielle Einflüsse zu sein wie unterschiedliche Temperaturen, Nährstoff- und Wassergehalt des Weidebodens, Bodenstruktur (sandig, bindig), Lichtintensitäten sowie Fruktanreserven vom Vortag (Quelle: Dissertation „Fruktangehalt im Gras von Pferdeweiden während der Weisesaison“, TiHo Hannover). Vorsicht ist aber definitiv geboten, wenn im Frühjahr etwa zur Zeit der Eisheiligen oder im Herbst die Nachttemperaturen unter sechs Grad Celsius fallen. Dann legt das Gras einen nächtlichen Wachstumsstopp ein, sodass sich der Fruktanspeicher nicht weiter abbauen kann. Ein erhöhtes Reherisiko besteht vor allem bei leichten Bodenfrösten und Sonnenschein am Folgetag. Auch in länger dauernden Trockenphasen bunkern hochgezüchtete Gräser vermehrt Fruktan. Der frische Auftrieb nach dem ersten Regen einer solchen Dürreperiode kann dann besonders fruktanhaltig sein. Deshalb sollte man mit dem Weidegang besser warten, bis das Gras weitere drei bis fünf Zentimeter gewachsen ist.
Durchweg die höchsten Fruktanwerte wurden im Mai gemessen. Deshalb sollten reheanfällige Pferde möglichst erst ab Mitte Juni auf die Weide gelassen werden. Dann haben sich nämlich die Kohlenhydratanteile zugunsten der Rohfaseranteile verschoben, das Gras ist nicht mehr so fruktanhaltig und besitzt genügend Struktur, um das Pferd zu sättigen.

Welches Saatgut?

Bereits durch die Wahl des Saatguts lässt sich das Reherisiko reduzieren. Es sollte möglichst nur Saatgut ausgebracht werden, das die besonders fruktanhaltigen Gräserarten Weidelgras und Wiesenschwingel nicht enthält. Mit bis zu 80 Prozent ist das Weidelgras in sogenannten Reparatur-Saatmischungen vertreten, weil es als besonders trittfest gilt und als Untergras rasch lückige Altnarben schließt. In Saatgut-Mischungen für die Heuwerbung und Silageproduktion dominiert der Wiesenschwingel mit 40 Prozent, gefolgt von Weidelgras mit 30 Prozent. Aber auch in sogenannten fruktanreduzierten Gräsermischungen kann der Weidelgras-Anteil noch bis zu acht Prozent betragen, Wiesenschwingel ist oft bis zu 30 Prozent enthalten. Mein Tipp: Verwenden Sie eine Mischung aus heimischen Wildsamen, die aus regelmäßig durchgeführten Wildsammlungen stammen und zwar auf eigens angelegten Flächen kultiviert, aber nicht gezüchtet, d. h. züchterisch verändert werden. Diese Saatgut-Mischungen bestehen aus anspruchslosen, energiearmen und rohfaserhaltigen Gräserarten, die auf Wassermangel, Verbiss oder Kälte kaum mit vermehrter Fruktan-Anreicherung reagieren. Ideal für alle Pferde, besonders aber für solche mit Reheanfälligkeit! Ideales Saatgut für die Pferdeweide besteht aus acht verschiedenen, naturbelassenen Gräserarten, die auch auf nährstoffärmeren Böden bestehen können. Die Mischung aus Rotschwingel, Kammgras, Wiesenknaulgras, Wiesenrispe, Wiesenlieschgras, Rotem Straußgras, Einjähriger Rispe und Flechtstraußgras ist für alle nicht extremen Böden und Lagen geeignet und mit oder ohne einen zehnprozentigen Anteil heimischer Wildkräuter erhältlich.

Moderne Medikation

„Ein akuter Reheschub ist immer ein Notfall, der sofort behandelt werden muss“, betont Tierärztin Heike Bussang, die in Mittelhessen eine eigene Praxis mit angeschlossenem Hufrehe-Rehazentrum betreibt. Deshalb sollte man schon bei den ersten Anzeichen wie unwilligem Vorwärtsgehen oder Wenden, ungewöhnlich häufigem Hinlegen, abwechselndem Anheben der Vorderbeine, angelaufenen Beinen und/oder geschwollenen Kronrändern sowie warmen Hufen mit erhöhter Pulsation in den Zehenseitenarterien unverzüglich den Tierarzt konsultieren, damit der relativ kurze Zeitraum, in dem eine Lageveränderung des Hufbeins durch geeignete Therapiemaßnahmen verhindert werden kann, nicht ungenutzt verstreicht. „Meist erkenne ich einen akuten Schub schon am eingedickten Blut“, verrät die erfahrene Veterinärin. Deshalb infundiert sie als wirksame Sofortmaßnahme je nach Bedarf 5 bis 40 Liter Kochsalzlösung, um eventuell noch vorhandene Giftstoffe im Verdauungstrakt über die Nieren auszuspülen und durch die Blutverdünnung die Bildung von Blutgerinnsel in den feinen Kapillaren der Huflederhaut zu unterbinden. Zur Vorbeugung gegen Thrombenbildung hat sich der Blutgerinnungshemmer Heparin bewährt, der prophylaktisch unter die Haut gespritzt wird. Nichtsteroidale Entzündungshemmer werden zur Eindämmung der entzündlichen und schmerzhaften Schwellungen bei akuter Hufrehe eingesetzt. „Den Wirkstoff Phenylbutazon wende ich gar nicht mehr an, weil er zum einen nicht ausreichend entzündungshemmend wirkt und zum anderen die Magenschleimhaut reizt und zu Fressunlust und Koliken führen kann“, warnt Bussang. Sie empfiehlt stattdessen die Wirkstoffe Meloxicam oder Firocoxib, die zwar teurer, dafür aber nicht nur magenschonender sind, sondern auch eine vielfach höhere Entzündungshemmung besitzen.

Kühlen & Polstern

Parallel zur Medikation müssen bei einem akuten Reheschub unbedingt weitere geeignete huftherapeutische Maßnahmen ergriffen werden. „Aufgrund zahlreicher Behandlungserfolge empfiehlt unsere Praxis in der akuten Phase die konstante Tiefenkühlung der Hufe über mindestens vier Tage. Durch eine ausreichend lange Kühlung der Hufe kann eine Entzündung mit Ödembildung im besten Fall verhindert, zumindest aber erheblich gehemmt werden, was gleichzeitig den akuten Schmerz lindert“, erklärt die Fachfrau für Hufrehe.
Wie aber kann diese Erkenntnis im Stall- oder Klinikalltag umgesetzt werden? Eine Möglichkeit ist das Anbringen von Kühlgamaschen. „Eine preiswerte, einfache und sehr effektive Methode zur dauerhaften Kühlung, die in unserer Praxis standardmäßig angewendet wird, sind sogenannte Eissocken“, so Tierärztin Heike Bussang. Hierfür eignen sich billige Baumwollsocken (z. B. Tennissocken, Socken aus Tierwolle sind nicht geeignet) aus dem Textildiscounter, die im Zehenbereich abgeschnitten, manuell gedehnt und über die betroffenen Hufe gestülpt werden. Dann zieht man die Socke am Röhrbein hoch, steckt einen handelsüblichen Eiswürfelbeutel in den Sockensaum, schiebt die gefüllte Socke nach unten bis an den Kronrand und schlägt sie ein. „Wichtig ist, dass die Kühlung wenigstens 96 Stunden am Stück erfolgt beziehungsweise solange, bis keine Pulsation mehr fühlbar ist und das Eis kaum mehr schmilzt. Hierfür ist es notwendig, etwa alle drei Stunden Eis nachzufüllen, also auch während der Nacht“, betont Bussang.
Das Sohlen-Strahl-Polster bzw. Hufrehe-Polster ist ebenfalls eine wirksame Sofortmaßnahme in der akuten Phase, um größere Schäden am Aufhängeapparat zu vermeiden. Dieses Polster aus verschiedenen Materialien entlastet den Hufbeinträger, weil der Sohlen-Strahl-Bereich die hauptsächliche Gewichtslast übernimmt. „Unsere Praxis empfiehlt das Premium Hufrehe Polster. Das sehr leichte und formstabile, aber dennoch nachgebende Silikon-Material, lässt sich einfach formen, härtet schnell aus und lässt sich problemlos am Huf anbringen“, berichtet Heike Bussang. Je nach Hufgröße wird entsprechend Material in Form geknetet und so an die zuvor gereinigte Hufsohle angepasst, dass die Zehe schwebt. Dann wird das geformte Polster zum Aushärten entfernt und anschließend mit einer elastischen, selbstklebenden Binde oder einem wasserabweisenden Klebeband am Huf fixiert. Verwendet man Klebeband, sollte es nicht über den Kronsaum hinaus geklebt werden.

Text und Foto: Birgit van Damsen