Arthrose aus Sicht der Tiermedizin
Gelenkerkrankungen sind das Schreckgespenst vieler Reiter, denn früher oder später gehen sie mit Leistungseinbußen und – im schlimmsten Fall – Unreitbarkeit ihres Vierbeiners einher. Deshalb rät die auf Pferde spezialisierte Veterinärmedizinerin Tina Wassing, möglichst früh ein besonderes Augenmerk auf die Gelenkgesundheit zu haben. Warum das so sein sollte, erläutert sie uns im folgenden Interview.
Bei Arthrose handelt es sich um eine degenerative Erkrankung des Gelenkes, die leider nicht reversibel ist. Gibt es Möglich-keiten, sie zu verhindern bzw. den Verlauf einzudämmen?
Eine Arthrose ist eine degenerative Veränderung an einem Gelenk. Ein Gelenk besteht aus den gelenkbildenden Knochen, deren Enden von Gelenkknorpel überzogen sind. Das Gelenk ist umschlossen von einer Gelenkkapsel, die Gelenkflüssigkeit (Synovia) enthält. Der Gelenkknorpel übernimmt gemeinsam mit der Synovia die Funktion eines Stoßdämpfers.
Zu Beginn der Arthrose kommt es zu einer fortschreitenden Zerstörung des Gelenkknorpels, der so den physiologischen Belastungen nicht mehr gewachsen ist. Kann der zerstörte Knorpel keine Stoßdämpferfunktion mehr übernehmen, kommt es zu Umbauvorgängen im darunter liegenden Knochen, was später im Röntgenbild sichtbar wird. Die Gelenkveränderungen können zunächst schmerzlos verlaufen oder äußern sich nur durch eine eingeschränkte Beweglichkeit einzelner Gelenke.
Schmerzen entstehen erst dann, wenn durch den Gewebeschaden im Gelenk eine Entzündung entsteht. Spätestens jetzt kommt es zur Lahmheit und wir sprechen aufgrund der Entzündung von einer Arthritis. Eine Arthritis kann aber auch durch bakterielle Infektionen verursacht werden und kann daher auch in einem Gelenk entstehen, welches bisher noch nicht von einer degenerativen Veränderung, d. h. einer Arthrose, betroffen ist.
Viele Arthrosen entstehen als Folge einer Verletzung, denn nicht jede Verletzung heilt, ohne Spuren zu hinterlassen. Weitere Ursachen für Arthrosen sind auch „Gelenkmäuse“ (kleine freie Knochenfragmente) oder Osteochondrose (Störung der Verknöcherung), Fehlstellungen der Gliedmaßen und/oder Hufe sowie mechanische Überlastungen durch intensives oder falsches Training. Aber auch degenerative Veränderungen im Alter wie z. B. in der Hufrolle führen zu Arthrose.
Kann man Arthrose verhindern oder zumindest vorbeugen?
Am besten beginnt die Arthroseprophylaxe bereits im Fohlenalter. Pferde, egal welchen Alters oder welcher Nutzungsrichtung, brauchen artgerechte Bewegungsmöglichkeiten. Ausbilanzierte Futterrationen mit ausreichend Mineralien und Spurenelementen sichern eine gute Grundversorgung. Die Hufe sollten regelmäßig und entwicklungsgerecht bearbeitet werden, um Fehlstellungen oder -belastungen früh gegenzusteuern.
Beim jungen Reitpferd macht sich der Reiter in der Regel noch keine Gedanken zu Arthrose. Junge Pferde sind wie Jugendliche noch sehr elastisch und können Belastungen einfacher kompensieren als ältere Pferde. Degenerative Gelenkerkrankungen entstehen aber auch schon in jungen Jahren und zeigen erst im weiteren Leben und bei weiterem Verschleiß Bewegungseinschränkungen. Deswegen sollten Verletzungen des Bewegungsapparates untersucht und auch entsprechend gründlich auskuriert werden.
Bewegung ist also das A und O?
Bewegung tut allen Pferden gut und zwar nicht nur mit dem Reiter, sondern auch frei. Nichts kann die Zeit auf der Koppel oder dem Paddock ersetzen. Sogenannte Kaltstarts sind zu vermeiden, da gerade nach einer längeren Stehzeit in der Box die Gelenke nicht ausreichend geschmiert sind.
Ein angemessenes Training des Pferdes ist gleichzeitig die beste Arthrose-Vorsorge. Das Training sollte auf Entwicklung und Vermögen des Pferdes, auf die momentane Trainingssituation und die räumlichen Gegebenheiten abgestimmt werden. Das Pferd sollte gut aufgewärmt werden, denn eine gute und funktionstüchtige Muskulatur sorgt für geschmeidige Bewegung.
Worauf sollte man als Pferdebesitzer achten, wenn das Pferd bereits unter einer degenerativen Gelenkerkrankung leidet?
Pferde mit Arthrose sollten sich regelmäßig frei und ausreichend bewegen können. Deswegen bevorzugen viele Besitzer eine Gruppen- oder Offenstallhaltung. Neben den vielen Vorteilen dieser Haltungsformen spielt die Gruppenzusammenstellung gerade für Arthrosepatienten eine wichtige Rolle. Viele Arthrosepferde legen sich nicht mehr gerne hin, da sie wissen, dass sie nicht mehr so schnell aufstehen können. Und bei Gruppenhaltung sehen wir betroffene Pferde, die sich nicht mehr zum Schlafen hinlegen, was auf Dauer zu Übermüdung und zu Narkolepsie-ähnlichen Ausfallserscheinungen führen kann. Aber dies kann auch Boxenpferde betreffen. Oft hilft eine zeitweilige Kameraüberwachung, um Klarheit zu erlangen. Der Untergrund im Liegebereich oder in der Box sollte so geschaffen sein, dass das Pferd beim Aufstehen sicheren Halt findet und nicht wegrutschen kann.
Pferde mit Arthrosen sollten ausreichend mit Nährstoffen versorgt werden.
Übergewicht muss vermieden werden. Die Ration sollte aber insbesondere bei alten Pferden ausreichend Energie enthalten, damit es nicht zu einem Abbau von Muskelmasse kommt. Oft werden mehrere Ergänzungsfuttermittel gleichzeitig verfüttert, dann muss sichergestellt werden, dass es im Bereich von Mineralstoffen, Spurenelementen und fettlöslichen Vitaminen nicht zu einer Überversorgung kommt.
Gerade bei bereits bekannten degenerativen Gelenkveränderungen muss die Hufbearbeitung regelmäßig und korrekt erfolgen. Fehlbelastungen stören auch das Hufwachstum, oft sind kürzere Bearbeitungsintervalle sinnvoll. Nicht jedes Arthrose-Pferd braucht aufgrund seiner Diagnose einen Beschlag.
Welche Therapiemöglichkeiten sollten in Betracht gezogen werden?
Die Vielzahl an Therapiemöglichkeiten macht es für viele Besitzer schwer. Generell lassen sich die Behandlungsoptionen in verschiedenen Gruppen unterteilen:
• Schmerz- und Entzündungshemmer (verabreicht als Injektion, oral oder auch intraartikulär)
• Gelenksinjektionen (Kortisonpräparate, Hyaluronsäure, Polyacrylamid, Stammzellpräparate)
• Homöopathie als repertorisierte Einzelmittel
• Biologische Tierarzneimittel
• Ergänzungsfuttermittel (MSM, Hagebutten, Chondroitinsulfat, Weihrauch, Lecithin und viele andere mehr)
• Blutegeltherapie
• Magnetfeldtherapie (als pulsierendes Magnetfeld als Decke oder als HECT (high energy cell treatment) appliziert über eine Spule direkt an der Arthrose)
• Lasertherapie
• Physiotherapie
• Warm- oder Kaltanwendungen
Was tun bei einem akuten Arthrose-Schub?
Im akuten Arthrose-Schub steht die Entzündung im Vordergrund. Die Pferde zeigen meist eine Lahmheit, das betroffene Gelenk ist wärmer und häufig vermehrt gefüllt, die Beweglichkeit ist eingeschränkt.
Je nach Schwere des Arthrose-Schubs werden vom Tierarzt Schmerz- und Entzündungshemmer verordnet. Neben diesen Medikamenten hat sich der Einsatz von Biologischen Arzneimitteln im akuten Arthrose-Schub bewährt. Auch Magnetfeldtherapien und Blutegelbehandlungen zeigen schmerzlindernde Effekte.
Schadet dem akut betroffenen Pferd Bewegung?
Diese Frage lässt sich nicht pauschal beantworten. Es ist wie beim Menschen: dem einen hilft die Bewegung, der andere bekommt durch Bewegung nur noch mehr Schmerzen. Um dies zu klären, sollte immer ein erfahrener Tierarzt zu Rate gezogen werden.
Wie belastbar ist ein Arthrose-Pferd?
Viele Pferde bleiben trotz der Diagnose „degenerative Gelenkveränderung“ belastbar. Je nach Diagnose muss natürlich über eine sportliche Nutzung gesprochen werden. Das betrifft nicht nur Sportpferde, sondern auch Freizeitpferde. Viele Bereiche wie Haltung und Fütterung, Equipment, Ausbildung von Pferd und Reiter, Hufbearbeitung kann jeder Besitzer positiv beeinflussen und damit einen großen Beitrag zur Gesunderhaltung seines Pferdes leisten.
Das Interview führte Friederike Fritz, Foto: Heel/Vetepedia