Auf Spurensuche im Darm

Kotwasser

Viele Pferdebesitzer kennen das Problem: Mit dem Kotabsatz oder dem Abgang von Darmgasen entweicht dem Pferd hinterrücks eine unappetitliche Brühe, manchmal mit auffallend unangenehmem Geruch. Schweif und Hinterbeine sind braungrün verklebt und ständig nass, im Winter bilden sich dort regelrechte Eiszapfen, im Sommer schwer zu behandelnde Hautirritationen. Die Rede ist von Kotwasser, unter dem zahllose Pferde scheinbar ohne erkennbaren Grund leiden. Scheinbar? QHJ-Redakteurin Angelika Schmelzer ist der Sache auf den Grund gegangen.

Oft durchlaufen Pferd und Besitzer auf der Suche nach einer durchschlagenden Therapie eine endlose Abfolge von Änderungen im Haltungs- und Fütterungsmanagement, doch eine dauerhafte Verbesserung des Zustandes bleibt meist aus. Das Pferd erscheint auf den ersten Blick gesund und doch beschleicht den Pferdebesitzer das Gefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung, aus dem Gleichgewicht geraten ist.

Darm in Aufruhr?

Vorweg: Das Erscheinungsbild hat nichts mit Diarrhoe zu tun. Bei Durchfällen sind Frequenz des Kotabsatzes und Kotkonsistenz verändert: Es wird sehr viel häufiger als normalerweise ein ungeformter bis breiiger oder flüssiger Kot abgesetzt, oft auch in kleineren Mengen, manchmal begleitet von Darmgasen und kompliziert durch Krämpfe, die Koliksymptome hervorrufen können.
Anders bei der Kotwasserproblematik: Der Kotabsatz ist nahezu unverändert, unauffällig – aber eben begleitet oder gefolgt von der schwarzbraunen Brühe, die auch unabhängig vom Äppeln den Darm verlassen kann. Sicher ist: Das abgesetzte Kotwasser ist Ausdruck einer massiven, andauernden Störung im Darm.
Was mögliche Ursachen und erfolgversprechende Behandlungsansätze angeht, ist allerlei Anekdotisches im Umlauf, zuverlässige Daten und Fakten sind allerdings Mangelware. In der Praxis lässt sich beobachten: Bei unter völlig identischen Haltungs- und Fütterungsbedingungen gehaltenen Gruppen erkranken nicht etwa alle, sondern stets nur einzelne Pferde, die aber meist dauerhaft. Das lässt die Vermutung aufkommen, dass etwa Fütterungsfehler als (alleinige) Auslöser ausscheiden. Aber was ist da los im Darm der Pferde?
Eine groß angelegte Studie, die allerdings auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hat, konnte allerlei interessante Details aufdecken, allerdings nicht den einen Verursacher dingfest machen. Im Auge hatte man zunächst die üblichen Verdächtigen:
• Futtermittel,
• Futterhygiene
• und Fütterungstechnik,
• Befall mit Darmparasiten sowie
• Stressreaktionen (etwa haltungsbedingte) mit direkter Auswirkung auf die Funktionen des Magendarmtraktes, insbesondere die Magensaftproduktion.

Auf Spurensuche

Was passiert im Darm von Kotwasser-patienten, was löst Kotwasser aus? Dieser Frage ging die erwähnte Untersuchung im Rahmen einer Dissertation nach.Insbesondere wurde durch aufwändige Fragebögen und Untersuchungen zu klären versucht, ob es signifikante Unterschiede zwischen der Gruppe von Kotwasser-Patienten und der symptomfreien Kontrollgruppe gibt und ob sich ein Zusammenhang zwischen einem bestimmten Merkmal und der Kotwasserproblematik erkennen lässt. Ein erstes Ergebnis: Auffällig scheinen überwiegend in Deutschland gezogene Wallache der Warmblutrassen zu sein, Stuten erkranken nur in etwa einem Fünftel der Fälle und Hengste nur ausnahmsweise. Schecken scheinen auffallend häufig betroffen zu sein.
Und: Meist trifft es gelassene (knapp 60 %), im Offenstall gehaltene (mehr als 55 %) Freizeitpferde (fast 70 %), die im Sommer auf die Weide dürfen (über 95 %)! Damit entfallen natürlich die immer wieder gerne und völlig zu Recht gegebenen Hinweise auf die Wichtigkeit artgerechter Haltung, Fütterung und Nutzung – hier tun sich bezüglich der Kotwasserproblematik keine augenfälligen Zusammenhänge auf. Aber was könnte es sonst sein?
Die Autorin der Dissertation hat mit beispielloser Akribie die Pferdehalter nach so ziemlich jeder Facette von Haltung, Fütterung, Pflege, medizinischer Versorgung, Training und Umgang befragt, inklusive Art und Häufigkeit der Verwendung von Decken, dem Vorhandensein von Heublumen im vorgelegten Raufutter, Art und Häufigkeit der Zufütterung von Kraftfutter oder Zufriedenheit mit den Bedingungen am Heimatstall. Zunächst ergaben sich da keinerlei Hinweise auf gemeinsame Faktoren.
Interessant wurde es aber bei der Beantwortung der Fragen nach dem „Innenleben“ des Pferdes: Am häufigsten waren rangniedrige, leicht zu händelnde, normalfuttrige, normalgewichtige, bei der Futteraufnahme nicht wählerische Pferde betroffen, Futterneid oder andere Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Fütterung zeigten sich nicht in signifikanter Weise. Auch wiesen die Pferde abgesehen von der Kotwasserproblematik in der Regel keine weiteren gesundheitlichen Auffälligkeiten auf. Besitzer berichteten, dass zumindest bei einem Teil der Pferde die Symptome sich durch Bewegung bessern.
Es scheint wohl am ehesten ein Zusammenhang zwischen mit Rangniedrigkeit verknüpftem Sozialstress und dem Auftreten von Kotwasser zu bestehen, ausgelöst durch eine chronisch ausgelöste Stressantwort. Dazu passt auch die zunächst rätselhafte Feststellung, dass Schecken überdurchschnittlich häufig erkranken: Sollte eine genetische Ursache ausgeschlossen werden können – und dafür gibt es aktuell auch keinerlei Anhaltspunkte – so fügt sich dies ins Bild, da in Gruppen gehaltene Pferde sich nicht selten nach Fellfarbe „sortieren“ und Artgenossen mit ungewöhnlicher Farbgebung am ehesten ausgegrenzt werden.
Die häufig zu hörende Einschätzung, Pferde würden vor allem auf die Fütterung von Silage mit Kotwasser reagieren, konnte die Studie dagegen ausräumen – auch ein wichtiges Ergebnis: Mehr als 85 % der von Kotwasser betroffenen Pferde erhielten überhaupt keine Silage. Auch ein Zusammenhang mit einem Befall durch Darmparasiten konnte ausgeschlossen werden.
Bei der Kotwasserproblematik schien es sich wohl um eine multifaktorielle Erkrankung zu handeln – es müssen mehrere Faktoren zusammenkommen, damit ein Pferd auffällig wird. Insgesamt konnte die Autorin mehrere Risikofaktoren identifizieren: Kommen niedriger Rang, fehlender Futterneid, Scheckfarbe, das Geschlecht „Wallach“ und langer Weidegang zusammen, steigt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Kotwasserproblematik deutlich. Von zentraler Bedeutung scheint Sozialstress im Zusammenhang mit einem eher niedrigen Rang zu sein.

Was hilft?

Wer also einen ruhigen, eher rangniedrigen Warmblutwallach hat, der vielleicht auch noch gescheckt ist, wird sich statistisch gesehen signifikant häufiger mit der Kotwasserproblematik herumschlagen müssen. Und das kann sehr unbefriedigend ausfallen: Lässt sich kein „griffiger“ gemeinsamer Nenner wie etwa eine typische Vorerkrankung, ein bestimmtes Futtermittel, falsche Fütterungstechnik oder mangelnde Hygiene ausmachen, die eine ursächliche Therapie ermöglichen, so bleiben nur Behandlungsversuche, die an den Symptomen ansetzen. Die befragten Besitzer der Pferde ließen oft nichts unversucht, um ihren Pferden zu helfen, und griffen vor allem zu Mitteln, die Einfluss auf das Mikrobiom nehmen sollten: Joghurt, Hefe oder Fermentgetreide wurden am häufigsten gereicht. Auch allerlei kommerzielle Produkte gegen Kotwasser sowie Leinsamen oder Flohsamen wurden häufiger eingesetzt. Die gute Nachricht: Immerhin waren diese Therapien bei annähernd 50 % der Pferde erfolgreich.
Andere Forschungsergebnisse zeigen alternative Behandlungsansätze auf. So scheinen die Darmbakterien und deren Tätigkeit eine entscheidende Rolle zu spielen, denn eine Mikrobiota-Transplantation – die Übertragung von Darmbakterien eines gesunden Pferdes auf den Kotwasserpatienten mittels Nasenschlundsonde – erweist sich als ausgesprochen effektiv. Auch die Versorgung mit Raufutter rund um die Uhr scheint sich positiv auszuwirken: Hat der Darm ständig zu tun, kommt er nicht auf dumme Gedanken. Angeraten wird auch die Fütterung von qualitativ hochwertigem Heu von vielseitig zusammengesetzten Wiesen. Ein Behandlungsansatz bei nachgewiesenen Veränderungen der Darmbakterienpopulation kann zudem die Verabreichung eines Autovakzins sein. Eine Umstellung der Fütterung durch Einbeziehen von Futtermitteln, die den Trockensubstanzgehalt des Kotes günstig beeinflussen, kann ebenfalls versucht werden. Dazu gehören etwa Grünmehle (Heucobs und Co.) und Trockenschnitzel. Silage, Stroh und sehr schwer verdauliches Heu (später Schnitt) sollten vermieden werden. Stark abgeweidete Weideflächen sind nicht nur für Kotwasserpatienten schädlich: Es besteht die Gefahr, dass Sand und Erde mit aufgenommen werden und der Sozialstress steigt aufgrund des ungenügenden Futterangebots.
Parallel kann und sollte alles dafür getan werden, den Sozialstress – der von vielen Besitzern unterschätzt wird – zu mindern. Kleinere Gruppen, mehr Platz, bei erkennbarer Antipathie ein Wechsel der Gruppe, zeitweises Aufstallen etwa zur Fütterung und andere Maßnahmen, je nach den individuellen Gegebenheiten, können zu einer erheblichen Besserung der Symptomatik beitragen oder gar zur völligen Ausheilung führen.
Insgesamt kommt der Besitzer wohl am ehesten zum Erfolg, wenn ein mehrgleisiger Ansatz versucht wird, in dessen Zentrum die Minderung von Sozialstress steht, ergänzt durch eine Optimierung der Raufutterversorgung und die Verabreichung kommerzieller Futterzusätze.

Text und Fotos: Angelika Schmelzer

Quelle der Studie: https://edoc.ub.uni-muenchen.de/10321/1/Zehnder_Carolin.pdf