WENN DER STOFFWECHSEL KOLLABIERT

EMS, ECD & Co. Teil 1

Gesunde, kraftstrotzende American Quarter Horses – ein Anblick, bei dem das Herz des Pferdefreundes lacht. Viel wird dafür getan, dass es so bleibt. Wer seine AQHs liebt, setzt sich für sie ein und betreibt einen oft erheblichen Aufwand. Bis sich dann nicht selten mit einer tierärztlichen Diagnose schlagartig die Erkenntnis durchsetzt, dass es ein Zuviel des Guten gibt, dass Fürsorge unsere Pferdes sogar krank machen kann. Manche, aber nicht alle der im Fokus des besorgten Pferdefreunds stehenden Stoffwechselerkrankungen nehmen nämlich genau so ihren Anfang.

Für eine ganze Reihe an Krankheitsbildern gilt: Irgendwo in der Ereigniskette, die letztlich zu klinischen Symptomen, zu einem erkennbaren Krankheitsbild geführt hat, stand einmal ein Ungleichgewicht zwischen der Zufuhr an Energie über die Fütterung und dem tatsächlichen Bedarf des Pferdes, bestimmt von dessen Gewicht und Leistung. Das äußerlich sichtbare Bild eines allzu gut im Futter stehenden Quarter Horses ist nur die Spitze des Eisbergs, denn im Inneren des Organismus, in den fein austarierten Regelkreisen, den vielen Verzweigungen und untergeordneten Netzwerken des Stoffwechsels bahnen sich Prozesse an, die erst nach einiger Zeit in Krankheitssymptomen ihren sichtbaren Ausdruck finden. 

Für andere Stoffwechselerkrankungen aber, soviel wissen wir inzwischen, sind gänzlich andere Ursachen verantwortlich, ist kein Ungleichgewicht zwischen Fütterung und Bewegung am Anfang der Ereigniskette zu finden. Hier sind auch die auslösenden Störungen nicht zentral im Bereich der Verstoffwechselung von Zucker und anderen Energieträgern zu finden, sondern in anderen Regelkreisen. Allerdings zeigt sich in der Praxis häufig, dass die entsprechenden Krankheitsbilder nicht immer klar zu trennen sind, die Symptome oft nicht einmal deutlich in eine bestimmte Richtung weisen, gar mehrere Stoffwechselstörungen gleichzeitig oder aufeinander folgend auftreten können und die beteiligten Regelkreise einander beeinflussen. 

In jedem Fall ist der Behandlungserfolg nicht nur von einer korrekten Diagnose und sorgfältigen tierärztlichen Betreuung abhängig, sondern auch von der konsequenten Mitarbeit des Pferdehalters. Eine dauerhafte Symptomfreiheit oder gar bleibende Genesung ist in vielen Fällen nur zu erreichen, wenn parallel Haltung, Training, Fütterung und weitere Faktoren optimiert werden. Beides – Optimierung der Lebensumstände und Mitarbeit des Pferdehalters – setzt Verständnis der dem jeweiligen Krankheitsgeschehen zugrundeliegenden Mechanismen voraus. Kurz gesagt: Man sollte schon wissen, was man tut… 

Leider sind diese Mechanismen zwar faszinierend, das Wissen darum aber ein bisserl trocken. Versuchen wir´s trotzdem und betrachten die beiden Systeme, die für Stoffwechselstörungen besonders relevant sind, ein wenig genauer.

Zuviel des Guten

Im Mittelpunkt des Geschehens steht bei vielen Stoffwechselerkrankungen die Verarbeitung von leicht verdaulichen Kohlenhydraten – Zucker und Co. Zucker sind der wichtigste Brennstoff für den Organismus. Das Pferd nimmt Glucose und andere einfach konstruierte Kohlenhydrate mit seiner Nahrung auf und schleust sie durch die Darmwand hindurch in seinen Körper ein. Dann wird abgewogen: Was brauchen wir sofort? Was wird momentan nicht benötigt und kann als Vorrat für schlechte Zeiten eingelagert werden? 

Diese Prozesse laufen ständig ab: Immer wieder wird überprüft, ob der im Blut durch den Körper zirkulierende Zuckervorrat zur Deckung des aktuellen Bedarfs ausreicht – dann geschieht nichts -, ob er aufgestockt werden sollte – dann werden Zucker aus dem Vorratsspeicher freigesetzt – oder ob es besser wäre, den Zuckerspiegel wieder zu reduzieren, weil das Angebot die aktuelle Nachfrage übersteigt – dann wird die Aufnahme von Zucker in die Vorratslager vorangetrieben. Das Ganze muss mit einem zweiten Regelkreis abgeglichen und synchronisiert werden, denn auch die Verteilung von Fetten, deren Speicherung und Freisetzung wird geregelt und überwacht.

Wichtig: Das ganze System wird sozusagen werkseitig im dauerhaften Energiesparmodus geliefert. Das Erbe der Wildpferde, die auf kargen Steppen mühsam ihr Auskommen suchten, wirkt auch in unseren modernen Pferderassen unverändert weiter. Auf ein dauerhaftes Überangebot an leicht verdaulichen Kohlenhydraten bei gleichzeitig stark gesunkenem Bedarf ist ihr Zuckerstoffwechsel nicht vorbereitet – das System wird dauerhaft überlastet und kollabiert schließlich. Genau diese Kombination von Überversorgung bei niedrigem Bedarf, dieses Ungleichgewicht tritt heutzutage besonders oft auf. Das Ergebnis sind viele der bekannten und inzwischen weit verbreiteten Stoffwechselentgleisungen. Doch nicht jede Stoffwechselerkrankung lässt sich so erklären.

Hormone im Hintergrund

Manchmal spielt also das Überangebot an Nahrung bei gleichzeitigem Bewegungsmangel die Hauptrolle, manchmal kommen andere Faktoren ursächlich ins Spiel und oft bleibt die Entstehung im Einzelfall rätselhaft. 

Zwischen den verschiedenen Spielarten gibt es Gemeinsamkeiten, aber auch manche Unterschiede. Im Zentrum des Geschehens finden wir immer Hormone. Hormone sind chemische Botenstoffe, die der Informationsübermittlung im Körper dienen. Neben dem auf Elektrizität basierenden Informationsfluss des Zentralnervensystems ist dies das zweite System in unserem Organismus mit dieser Aufgabe.

In der hormonellen Steuerung geht es um Regulation ganz unterschiedlicher Funktionen: Vom Zuckerstoffwechsel über die Steuerung des allgemeinen Umsatzes des Organismus bis zum Wasserhaushalt, der geschlechtlichen Aktivität, der Immunreaktion und der Nahrungsaufnahme, überall haben Hormone ihre Finger im Spiel. Meist sind es nicht einzelne Hormone, sondern eine Vielzahl von in Wirkungskaskaden angereihte Botenstoffe, die einen Funktionsbereich des Stoffwechsels regulieren, mit eingebauten Rückkopplungsmechanismen, einer ganzen Reihe von Anknüpfungspunkten und Verzahnungen mit anderen Regelkreisen. Auch beschränkt sich die Wirkung eines einzelnen Hormons meist nicht auf eine Funktion, sondern es nimmt gleich mehrere Aufgaben wahr.

Für den Zuckerstoffwechsel sind gleich mehrere dieser Stoffe relevant. Im Zentrum stehen die Hormone Insulin und Glukagon. Nimmt das Pferd zuckerhaltiges Futter auf, steigt in der Folge automatisch der Blutzuckerspiegel, weil Zucker in Form von Glukose aus dem Darm in die Blutbahn überführt wird. Für den Körper ist es vorteilhaft, dass über die Zeit verteilt und weitgehend unabhängig von der Nahrungsaufnahme eine immer gleichbleibende Konzentration dieses wichtigen Energieträgers zur Verfügung steht. 

Insulin veranlasst nun die Aufnahme von Zucker in die Zellen, die Energie benötigen und die Speicherung der Glukose, die nicht sofort verbraucht wird, und zwar vorwiegend in Form von Glykogen in Leber und Muskulatur. Unter dem Einfluss von Insulin wird so der Blutzuckerspiegel nach unten reguliert. Gleichzeitig hemmt Insulin den Abbau, die Freisetzung von Fett aus den Fettzellen.

Sinkt der Blutzuckerspiegel dagegen, etwa, weil viel Energie verbraucht wurde, ruft das den Gegenspieler des Insulins auf den Plan, das Hormon Glukagon. Es hat die Aufgabe, Glukose wieder aus den Speichern freizusetzen und auch die Freisetzung von Fett aus den Fettzellen zu bewirken. Dadurch wird der Blutzuckerspiegel nach oben reguliert und es können nun wieder Energieträger bereitgestellt werden. 

Im Grunde wuppen Insulin und Glukagon als Gegenspieler den Zuckerhaushalt souverän zwar alleine, im Hintergrund aber mischen weitere Elemente mit: Eine wichtige Rolle spielen die Fettzellen, die nicht nur einfache Vorratsbehältnisse, sondern auch hormonell aktiv sind. Sie produzieren Adipokine, eine Gruppe von Hormonen mit noch nicht vollständig erforschten Wirkungen und Wechselbeziehungen. 

Ganz andere Baustelle…

Während im Zuckerhaushalt und dessen Entgleisungen die Hormone Insulin und Glukagon und die Bauchspeicheldrüse, die sie bildet, im Vordergrund stehen, ist für andere Stoffwechselprobleme ein völlig anderes Regelsystem relevant. Wir richten dazu den Blick nicht etwa auf die Verdauungsorgane, sondern auf das Gehirn und eine ganze Reihe von Hormonen, die im Energiehaushalt eine Rolle spielen, aber auch im Zusammenhang mit Stress und Schmerzen. 

Ein weiterer, richtig verzwickter Steuerungskreislauf mit Auswirkungen auch auf den Zuckerhaushalt hat nämlich seinen Ausgangspunkt im Gehirn. Ein „Hypothalamus“ (Teil des Zwischenhirns) genannter Bereich koordiniert in Zusammenarbeit mit einer weiteren Hirnregion, der Hypophyse, zahlreiche Körperfunktionen, unter anderem die Nahrungsaufnahme (Hunger und Sättigung), aber auch die „innere Uhr“ und andere wichtige Mechanismen. Dazu bildet der Hypothalamus Steuerhormone mit Wirkung auf diverse Drüsen. Aufgabe des Hypothalamus ist es, in verschiedenen Bereichen für Homöostase zu sorgen, also dafür, dass im vegetativen System des Körpers das innere Milieu aufrechterhalten wird. Der Hypothalamus steht deshalb im Zentrum diverser Regelkreise, die sich an dieser Stelle auch funktionell berühren, selbst wenn es um unterschiedliche Körperfunktionen geht. Störungen, die im Bereich des Hypothalamus ihren Anfang nehmen oder dessen Funktionen grundlegend beeinflussen, haben deshalb oft Auswirkungen in ganz unterschiedlichen Bereichen und auf mehreren Ebenen. 

Bei Betrachtung zweier wichtiger Elemente, die bei einem bestimmten Typ Stoffwechselstörung eine Rolle spielen, werden diese weite Verzweigung und die oft kaskadenähnlichen Wirkungen einzelner Elemente deutlich. Wer ein Pferd mit Equiner Cushing Disease (ECD) pflegt, kennt die Abkürzung ACTH. 

Sie steht für „Adrenocorticotropes Hormon“, ein von der Hypophyse ausgeschüttetes Peptidhormon, dessen Blutspiegel bei der Diagnostik und Verlaufskontrolle bestimmt wird. Seine Ausschüttung wird vom Hypothalamus über ein CRH genanntes Hormon ver-anlasst. Das ACTH selbst steuert die Nebennierenrinde und regt dort die Bildung von Glukokorticoiden an, entweder als Teil der „Alltagsfunktionen“ (basale Sekretion) oder stressinduziert. Das Glukokortikoid Cortisol ist nämlich (auch) ein „Stresshormon“: Es sorgt dafür, dass in Notsituationen ausreichend Energie etwa für die Flucht bereitsteht, indem es abbauende Stoffwechselvorgänge anregt. Außerdem hat es Einfluss auf das Immunsystem, das unter seiner Wirkung gehemmt wird, und auf Entzündungen im Körper, die es unterdrückt. Was als lebensrettende Funktion in Gefahr hilft, macht aber enorme Probleme, wenn die Steuerung versagt: Wird zu viel ACTH und in der Folge dann auch zu viel Cortisol freigesetzt, bringt das den Energiehaushalt aus dem Tritt, aber auch das Immunsystem und viele andere Funktionen, die nur scheinbar in keiner Verbindung zueinander stehen. Wer vermutet schon einen Zusammenhang zwischen Fellbildung, Fruchtbarkeit, Immunsystem und Zuckerhaushalt? Genau diese zahlreichen Verknüpfungen vieler Regelkreise untereinander machen die enorme Belastung aus, die das stoffwechselkranke Pferd zum schwerkranken Patienten werden lässt, wenn hier nicht an zentraler Stelle helfend eingegriffen wird.

Komplizierte Zusammenhänge erfordern ganzheitliche Hilfe

Da kann dem Pferdefreund schon einmal der Kopf schwirren, denn selbst eine stark vereinfachte, auf zentrale Elemente reduzierte Darstellung macht die ungeheure Komplexität deutlich, die sich hinter dem so griffig erscheinenden Wort „Stoffwechsel“ verbirgt. Damit wird auch klar, wie schwerwiegend alle Störungen in diesem Bereich sind. 

Dieses grundlegende Verständnis der enormen Bedeutung einer Stoffwechselerkrankung für das betroffene Pferd ist unerlässlich für dessen sachkundige Betreuung. Dazu in der nächsten Ausgabe mehr… 

Text: Angelika Schmelzer, Foto: Janna Müller