Die Motoren des Pferdes

Elemente des Trageapparats

Begriffe, mit denen Reiter tagtäglich direkt oder indirekt konfrontiert werden, denn beim Reiten geht es immer auch um die dauerhafte Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Trageapparates. Grundwissen über Anatomie und Funktionsweise dieser Strukturen hilft, das Training bewusster und effektiver zu gestalten und den Trageapparat auch langfristig fit zu halten.

Im Grunde erscheinen die verschiedenen Funktionen klar verteilt: Die Knochen sorgen für Stabilität, Gelenke ermöglichen Beweglichkeit, Muskeln sind für die Kraftentfaltung zuständig, Faszien umhüllen schützend die Muskulatur und Sehnen und Bänder sichern das alles ab. Ein einziger Blick auf die Vorhand des Pferdes zeigt aber bereits überdeutlich, dass es so einfach denn doch nicht sein kann: Beim Pferd fehlt eine knöcherne Verbindung von Vorderbein und Rumpf, woher aber nimmt dann das Bein seine Stabilität? Wer genauer hinsieht, findet noch mehr interessante Fragen: Die Begriffe „Sehnen“ und „Bänder“ werden häufig fast synonym verwendet, aber sind sie wirklich dasselbe? Und wofür sind Faszien eigentlich gut, wenn sie doch bei Mensch und Pferd anscheinend nur dann in Erscheinung treten, wenn sie schmerzen?

Knochen: Der Fels in der Brandung

Weil uns Knochen so unbeweglich erscheinen, halten wir sie für totes Gewebe – aber es sind quicklebendige, gut durchblutete Strukturen und alles andere als starr. Und das macht sie sogar trainierbar, denn wie alle anderen Elemente des Trageapparats reagieren sie auf Belastungsreize und stellen sich darauf ein. Zuständig dafür sind die Knochenbälkchen oder Trabekel, die im Inneren der Röhrenknochen ein feines Gerüst bilden. Auf Zug- und Druckbelastungen antworten sie, indem sie sich den aktuellen Anforderungen entsprechend immer wieder umbauen und neu ausrichten. Knochen entwickeln sich also nicht nur bis zum Abschluss des Wachstums in die Länge und Breite, sondern passen sich im Verborgenen beständig an. Dies ist nur möglich, weil sie keinesfalls lediglich aus Mineralstoffen aufgebaut sind – der anorganische Anteil des Knochengewebes beträgt nicht einmal 50 %! Das Knochengewebe besteht vielmehr zu großen Teilen aus Wasser und Kollagen.

Die permanenten Ab- und Umbauprozesse am Knochen machen nicht nur die Heilung von Knochenbrüchen möglich, die Remodellierung erlaubt auch die Reparatur der alltäglichen Verschleißerscheinungen und die Anpassung an sich ändernde Belastungen. Man schätzt, dass statistisch gesehen spätestens nach zehn Jahren ein Knochen einmal komplett ab- und umgebaut wurde, wobei die Remodellierung im Bereich der Trabekel wesentlich intensiver und rascher abläuft als im kompakten Gewebe der Oberfläche eines Knochen. Für uns Reiter heißt dies: Wir können erwarten, dass sich auch das knöcherne Gerüst unserer American Quarter Horses auf Belastungen einstellt, beginnend mit der Aufnahme der Reiterlast. Allerdings sind die nötigen Umbauprozesse recht langwierig, sodass wir in Zeiträumen von Jahren denken müssen.

Gelenke und Bänder: Bewegung möglich machen

Müssen zwei oder mehrere Knochen beweglich verbunden werden, bildet der Körper ein echtes Gelenk aus – im Unterscheid zu anderen Knochenverbindungen. Bei einem echten Gelenk finden wir trotz unterschiedlicher Formen einen einheitlichen Aufbau. Es wird gebildet von den Knochenenden, die im Bereich der Gelenkflächen mit hyalinem Knorpel überzogen sind. Dazwischen liegt der mit Gelenkflüssigkeit gefüllte Gelenkspalt. Umgeben ist diese Gelenkhöhle von der Gelenkkapsel, die aus zwei Schichten besteht. Zusätzliche Stabilität verleihen die Bänder, die teils innerhalb der Gelenkhöhle verlaufen, aber auch in die Wand der Gelenkkapsel eingebaut sein können oder außerhalb des eigent-lichen Gelenkes liegen. 

Die Gelenkkapsel umschließt das Gelenk, hält die Gelenkflüssigkeit (Synovia) in der Gelenkhöhle und stabilisiert es mit Unterstützung der Bänder. Damit trotz dieser lückenlosen Umhüllung Bewegung möglich ist, sind „Dehnfalten“ eingebaut. Außerdem ist die Gelenkkapsel für die Bildung der Synovia zuständig, eine klare, fadenziehende Flüssigkeit mit einem hohen Anteil an Hyaluronsäure. Sie bildet einen Gleitfilm im Gelenkspalt und wirkt so reibungsmindernd, aber auch stoß-dämpfend. Außerdem ist die für die Ernährung des Knorpels an den Gelenkflächen zuständig, in den sie beim Wechsel von Be- und Entlastung, also infolge der Bewegung, beständig quasi einmassiert wird. Da im Knorpelgewebe keine Blutgefäße angelegt sind, müssen alle benötigten Stoffe auf diesem Weg hineintransportiert werden. 

Muskeln, Sehnen, Faszien: Organismus in Bewegung

Die Muskulatur unserer Pferde ist ein Organsystem, aufgebaut aus einzelnen Muskeln. Muskeln sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich zusammenziehen und wieder entspannen können und durch diese Abfolge Strukturen des Organismus bewegen. Dabei geht es nicht nur um Fortbewegung, vielmehr ist die Muskulatur auch an der Funktion vieler Organe beteiligt: Ohne Muskulatur keine Darmperistaltik, kein Herzschlag, keine Atmung. Hinzu kommen Gestaltänderungen ohne Fortbewegung, wie wir Pferdefreunde sie nicht nur im Zusammenhang mit dem Ausdrucksverhalten unserer American Quarter Horses kennen: Da werden Köpfe gehoben und gesenkt, Körper angespannt oder entspannt, Fliegen durch Hautzucken abgewehrt, die Wärmeisolierung durch Aufstellen der Behaarung intensiviert. Für diese unterschiedlichen Funktionen sind drei Formen von Muskulatur nötig, die glatte (auch viszerale oder Eingeweidemuskulatur genannt), die quergestreifte Muskulatur (Skelettmuskulatur) und die Herzmuskulatur. Ein wichtiger Unterschied: Anders als die Skelettmuskulatur sind glatte Muskulatur und Herzmuskulatur nicht willkürlich beweglich. Im Zusammenhang mit dem Trageapparat interessiert uns nur die quergestreifte Skelettmuskulatur.

Verbindet man zwei Knochen miteinander, die über ein gemeinsames Gelenk verknüpft sind, lässt sich dieses Gelenk bewegen. Auf welche Art, in welche Richtung(en) und wie stark, das gibt der Aufbau des Gelenks vor. Bringt man eine zweite muskuläre Verbindung ins Spiel, sind – sofern das Gelenk dies zulässt – sowohl gegengleiche Bewegungen (Agonist und Antagonist) möglich als auch eine Verstärkung der Wirkung (Synergist) des ersten Muskels. Diese beiden funktionellen Muskeltypen reichen aus, um die zahlreichen willkürlichen Bewegungen des Pferdekörpers zu ermöglichen, indem sie geschickt kombiniert werden. Beim Training kann es also nicht nur darum gehen, einfach nur die Muskelkraft – vereinfacht gesagt die Fähigkeit des Muskels zu Kontraktion – zu verbessern, es geht mehr: Der Bewegungsumfang kann nur erhöht werden, indem in beide Richtungen – Kontraktion und Entspannung – gearbeitet wird. Zudem gilt es, das Zusammenspiel der vielen Komponenten zu verbessern und ökonomischer zu gestalten. Mit der Zunahme an Muskelmasse muss die Versorgung der Muskulatur über das Blutgefäßsystem Schritt halten können. Und die Bemuskelung muss in der Lage sein, die bei jeder Beanspruchung unvermeidlichen Mikroschäden schnell und ökonomisch zu reparieren. Reines Krafttraining ist also nicht sinnvoll.

Wie und wo kommen Sehnen und Faszien ins Spiel? Sehnen sind, anatomisch gesehen, Teile eines Muskels. Ihre Aufgabe ist es, die Muskulatur am Knochen anzuheften und dazu eine feste Verbindung mit der Knochenhaut, dem Periost einzugehen. So wird der Muskel über zwei Stellen, Ursprung und Ansatz genannt, an den Knochen befestigt. 

Sehnen können enorme Zugbelastungen aus-halten. Ihr Schwachpunkt: Sie sind nur wenig durchblutet, es finden sich kaum Blutgefäße in ihnen, was ihre Fähigkeit zur Regeneration stark einschränkt. 

Sehnenschäden haben also grundsätzlich eine schlechte Heilungstendenz und beeinträchtigen immer die Funktion des Muskels, den sie mit dem Knochen verbinden.

Faszien sind noch nicht lange ins Bewusstsein der Reiter gerückt. Es sind unterschiedliche bindegewebige Strukturen, die den ganzen Körper durchziehen und dabei ein dreidimensionales Netzwerk bilden. So werden beispielsweise auch die inneren Organe über Faszien stabilisiert und am Platz gehalten. Im Zusammenhang mit den Elementen des Trageapparates interessieren den Reiter vor allem die „eigentlichen“ Faszien, die die Muskeln umhüllen wie ein Strumpf. Ihre Bedeutung insbesondere im Zusammenhang mit Überlastungen, Einschränkungen und Verletzungen ist noch nicht abschließend erforscht. Auch bezüglich ihrer Trainierbarkeit steht man noch am Anfang – teils wird postuliert, Faszien würden beim Muskeltraining im Grunde mit trainiert und müssten nicht eigens berücksichtigt werden, teils wird aber auch angenommen, der Großteil aller Überlastungsschäden im Zusammenhang mit dem Sport seien im Grunde Schäden dieses Spannungsnetzwerks an Faszien. Heute vermutet man, dass ein ergänzendes Training der Faszien durchaus sinnvoll ist und verfolgt den Ansatz, dabei vier grundlegende Elemente zu berücksichtigen: die Fähigkeit der Faszien, zu federn und sich zu dehnen, aber auch die Förderung der Eigenwahrnehmung und eine grundlegende Belebung dieser Struktur und damit auch eine Verbesserung der Reparaturmechanismen.

Was das gezielte Faszientraining angeht, steht man beim Pferd noch ganz am Anfang. Es kann davon ausgegangen werden, dass es auch hier auf das richtige Maß ankommt. Problematisch dürfte insbesondere die Tatsache sein, dass sich Muskeln sehr schnell und umfassend, Faszien – wie Sehnen, Gelenkkapseln und Bänder auch, die im Grunde zum Faszienapparat gerechnet werden können – eher langsam und eingeschränkt trainieren lassen. Das kann zur Folge haben, dass ein gut trainierter Muskel die anheftenden Strukturen überfordert, die einfach noch nicht so weit sind. 

Für jede Belastung gilt deshalb ein ganz banaler Grundsatz: Sie sollte sich hinsichtlich der Intensität immer nach dem schwächsten Element der Gesamtstruktur richten. Trainiert wird stets der gesamte Trageapparat, die Aufmerksamkeit des Reiters gilt jedem einzelnen Element wie auch dem Zusammenspiel des ganzen sehr komplexen Systems. Vorteilhaft sind über den Tag verteilte Bewegungseinheiten, die meisten davon ohne Leistungsspitzen und ohne Lastaufnahme. Sie sorgen für eine gute Versorgung der tragenden Strukturen und eine artgemäße Belastung. Hinzukommen müssen echte Ruhephasen im eigentlichen Trainingsplan, die eine Verarbeitung der zuvor gesetzten Trainingsreize ermöglichen. Dreh- und Angelpunkt des gesunden Trageapparates ist deshalb die optimale Kombination von artgerechter Aufstallung und sachkundigem Training.

Text: Angelika Schmelzer, Foto: A. Bozai