Hufbeschlag heute
Viel mehr als nur ein Eisen
Das Thema Hufe ist wahrlich ein heißes Eisen: Immer wieder wird gefragt, ob nicht eigentlich jedes Pferd barhuf laufen könne, so wie die Natur es vorgesehen hat. Häufig wird vermittelt, dass Beschläge per se schädlich sind, wider der Natur des Pferdes und den Hufmechanismus quasi lahmlegen, durch den Beschlag gar Nervenbahnen absterben, so dass die Pferde nur laufen, weil sie keinen Schmerz mehr empfinden. Starker Tobak, wie Hufbeschlagschmied Dennis Czudzewitz und Dr. Iris Werner (Pferdefachtierärztin a. D) feststellen.
Wie bei allen Themen rund ums Pferd kursieren auch in Sachen Hufbeschlag viele Meinungen und zahlreiche Mythen.
Was ist also los mit Pferden, die Eisen bekommen? Sterben tatsächlich irgendwann die Hufe ab? Wohl kaum. Um besser verstehen zu können, was sach- und fachgerechte Beschläge generell beim Pferd bewirken, gehen wir einen Schritt zurück und schauen mal auf die Verwandten unserer Hauspferde, die Wildpferde und wildlebenden Pferde.
Das Wildpferd: perfekt angepasst
Viel Forschung wurde betrieben und unzählige Pferde wurden beobachtet, viel interpretiert und dokumentiert.
Fazit: Der Huf versucht stets, sich den Bodenverhältnissen anzupassen. Das heißt, auf weichem Boden entwickelt sich ein eher flacher, breiter Huf, während sich auf harten Böden ein harter, in seiner Tendenz steiler Huf entwickelt. Und: Nicht selten finden sich bei Wildpferden Doppelsohlen, das Zerfallshorn verbleibt durch den Gegendruck des harten Bodens an der Sohle. Übrigens waren und sind auch bei Wildpferden Rehe-Erkrankungen nicht so selten, wie gerne vermittelt wird, ebenso Befunde am Strahlbein, die aber den Pferden nicht zwingend Probleme machen.
Hinzu kommt, dass die Körperproportionen wild lebender Pferde jeglicher Couleur in der Regel ausgewogen und harmonisch sind, mit einem gutem Stand der Beine unter dem Körper, so dass die Bewegungsmöglichkeiten und das Zusammenspiel der Hufkapsel und Kleingelenke die Bewegungsphasen abholen und ausbalancieren können. Pferde mit einem solchen Exterieur sind aufgrund ihrer Biomechanik in der Regel weniger beschlagsbedürftig.
Fluchttier Pferd
Die Flucht stellt für Wildpferde eine zeitbegrenzte Situation dar, von der sich die Pferde oft tagelang erholen können. Auch gibt es im Fall der Flucht keine Aufwärmphase und kein Cool-down: Ist Gefahr im Verzug, sprinten die Pferde augenblicklich in hohem Tempo los. Als Fluchttiere müssen sie sich von Geburt an biomotorisch und biomechanisch mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Eventuell auftretende Sehnenschäden heilen oder eben nicht, schwache oder verletzte Pferde werden – vorsichtig ausgedrückt – keine alten Pferde. Die Natur ist unerbittlich bei der Auslese.
Nun aber zurück zum Huf unseres Hauspferdes: Was ist passiert, dass ein so anpassungsfähiges Körperteil plötzlich Hilfe in Form von Beschlägen braucht?
Evolution = Vielfalt = Veränderung und Erwartung ans Pferd
Der Mensch hat im Laufe der Jahrhunderte vom Minishetty bis zum Shire Horse, vom Mix aus der nicht mehr reitbaren Stute mit dem langmähnigen Hengst von nebenan bis zum Hochleistungssportler alles gezüchtet und vieles optimiert, nicht immer mit positiven Resultaten. Grundsätzlich ist zunächst auch nichts dagegen einzuwenden, denn seit Menschengedenken waren Pferd und Mensch in Teamarbeit vereint. Dabei haben sich die Proportionen und genetische Veranlagungen am Pferd jeweils hinsichtlich der aktuellen Zuchtziele und Sportwünsche immer wieder verändert.
So entwickelt sich zum Beispiel bei besonders langbeinigen Pferderassen im Fohlenalter gern ein steiler und ein flacherer Huf: Um das Hals-Beinlängenverhältnis auszugleichen, setzen die Jungtiere gern ein Bein zurück und eins weit vor. Dadurch entwickelt sich auf dem zurückgesetzten Huf ein tendenziell steiler Huf bis hin zum Bockhuf. Bedingt passiert das sicher auch bei kurzbeinigeren Fohlen, aber in der Regel nicht mit starker Auswirkung. Durch den Einfluss dieser Entwicklung auf die Statik des gesamten Pferdes macht dies oft später Probleme: Das Pferd wächst in schiefe Hebel.
Ein weiterer, wichtiger Aspekt ist das Verhältnis zwischen Hufgröße und Körpermasse. Wir erinnern uns: Das Bein will unter den Körper. So sind die Hufe bei vielen Pferden im Verhältnis zu klein, um den Körper zu tragen und für eine stabile Statik zu sorgen.
Physik bleibt Physik
Nicht nur, dass der Huf eventuelle Defizite auszugleichen hat und auch Sehnen, Bänder und Muskeln Fehlstellungen und physikalische Mängel auffangen müssen, kommt dann noch ein flacher Huf mit wenig Sohle und wenig eigenen Schutzoptionen hinzu, dazu wird es für das Pferd sehr schwer, gesund und leistungsbereit barhuf laufen zu können. Ziel des modernen Hufbeschlags ist unter anderem, Diskrepanzen und Defizite im Bereich der Hufe mit einem individuell angepassten und auf die körperlichen Probleme des Pferdes abgestimmten Beschlag auszugleichen.
Welcher Beschlag?
Das Angebot an Beschlägen ist heute so umfangreich wie nie zuvor: vom Eisenbeschlag über Aluminium bis zu diversen Kunststoffbeschlägen. Hier gibt es kein Besser oder Schlechter, alle Materialien und Arbeitsmethoden haben ihre Vor- und Nachteile, zumal oft mehr als nur ein Weg zum Ziel führt.
Was für ein Reiningpferd optimal sein kann, ist für den Hobby-Tinker im Busch sicher keine gute Lösung. Schwierig ist es häufig auch, den Mix zwischen Ausreiten, Sportreiten, Hallen- und Geländereiten beschlagtechnisch abzudecken und die vielen Ansprüche im wahrsten Sinne des Wortes unter einen Huf zu bringen.
Am Anfang jedes Beschlags stehen die Gangbildanalyse und die Berücksichtigung des Trainingszustandes sowie die Bewertung, ob der Beschlag orthopädisch notwendig ist, das Pferd im Alltag oder/und im Sport unterstützen soll, ob der Beschlag eine vorübergehende Lösung für kurzfristige Probleme sein soll, bei Verletzungen oder auch nach Kapselregulationen, um zum Barhuflaufen umgestellt zu werden. Ja, auch das gibt es: Über einen durchdachten Beschlag konnte schon manchem Pferd zu einem guten Huf verholfen werden, der später keinen Beschlag mehr benötigte. Auch hierfür hält der moderne Beschlag mannigfaltige Möglichkeiten und Hilfsmittel wie Platten, Polster und dazugehörige Techniken bereit und nicht zuletzt die Materialwahl selber.
Einer der wichtigsten Aspekte ist: Ein Beschlag ist nur so gut wie die Hufbearbeitung zuvor.
Zur Statik
Welche Beinstellung ein Pferd auch hat, es wird immerwährend versuchen, die Hufe unter die Schultergelenke zu bringen. Für den Schmied bedeutet dass, das Pferd zu beobachten und in der Bewegung zu beurteilen. Mit dem Beschlag sollte die Hufkapsel so optimal wie möglich gestellt werden und das individuelle Gangbild des Pferdes über den Beschlag gewährleistet sein. Dabei ist es wichtig, dass der Beschlag während der gesamten Beschlagperiode funktional bleibt und nicht aus seiner physikalischen Nutzung herauswächst. Entsprechende Intervalle sollten sorgfältig geplant werden, ebenso wie die tägliche Hufpflege.
Was kann ein Beschlag?
Ein Beschlag setzt immer dort an, wo der Barhuf in der Belastung statisch überfordert wäre. Ein guter Beschlag ist quasi der Lückenfüller für physikalische Defizite. Das kann temporär sein, um therapeutisch zu unterstützen, oder dauerhaft. Immer sollte die Frage lauten: Wie verhelfe ich unter den gegebenen Bedingungen meinem Pferd zu möglichst hoher Lauf- und damit Lebensqualität?
Management und Bodenverhältnisse sind die wichtigsten Co-Faktoren. Stets bietet ein Beschlag Abriebschutz, zudem kann er dem Pferd zu einer verbesserten Statik verhelfen. Er unterstützt das Pferd in seinen individuellen Bewegungsabläufen, sorgt im Idealfall für eine optimale Fußung bei Erhaltung der Hufkapsel im gut versorgten Bereich. Es kann die Auftrittfläche teilweise vergrößern, Sink- und Druckverhältnisse ändern und Abrollpunkt sowie Unterstützung ins richtige Verhältnis setzten und mehr Komfort z.B. für fühlige Pferde bieten. Wichtig dabei: Es besteht ein immerwährendes Wechselspiel zwischen Körper und Huf.
Verändern sich die Umstände, verändert sich ggf. auch die folgende Beschlagsentscheidung. Immer gibt das Pferd die Möglichkeiten vor und der Beschlag sollte als Mittel angesehen werden, ein funktionierendes Gefüge aus körperlichen Möglichkeiten, Nutzung und Biomechanik herzustellen. Niemals sollte ein Beschlag dazu benutzt werden, um am Pferdehuf etwas zu erzwingen und manchmal dauert es seine Zeit, bis man für sein Pferd das Optimum erreicht hat. Und ja, es gibt auch viele Pferde, die barhuf gut zurechtkommen.
Text: Dr. Iris Werner, Foto: K.-J. Guni