Die Weidenrinde

Mutter Natur’s Schatzkästchen

In unserer neuen Reihe „ Futter+: Mutter Natur’s Schatzkästchen“ stellen wir bewährte Heilpflanzen und ihre Verarbeitung vor. In unserer jetzigen Ausgabe geht es um das „pflanzliche Aspirin“, die Weidenrinde. 

Die mit 450 Arten sehr umfangreiche Gattung der Weiden (Salicaceae) ist ein gutes Beispiel für die oft überraschend enge Verbindung zwischen „normaler“ Medizin (Allopathie) und dem weiten Feld der Komplementärmedizin. Die Phytotherapie – Pflanzenheilkunde – ist eine wichtige Schnittmenge zwischen diesen so unterschiedlichen Ansätzen. In der Verwendung von Heilpflanzen setzt man, anders als in vielen weiteren Bereichen der alternativen Therapien, weithin auf streng naturwissenschaftliche Maßstäbe, wie sie in der Allopathie Standard sind. So kommt es vor, dass traditionelle Heilpflanzen mit überlieferten Anwendungsgebieten im Nachhinein durch moderne medizinische Forschung und Entwicklung die verdiente Anerkennung auch im Bereich der Schulmedizin erfahren. Und trotzdem bleibt manches rätselhaft… 

Natur-Aspirin

Die getrocknete Rinde der Weiden wird traditionell als fiebersenkendes und entzündungshemmendes Mittel eingesetzt. Diese Wirkung lässt sich auf das in der Rinde enthaltene Salicin zurückführen, das im Körper in zwei Schritten im Darm und in der Leber schließlich zu Salizylsäure umgewandelt wird. Die Salizylsäure wiederum hemmt die körpereigene Bildung von Prostaglandinen. Prostaglandine sind Gewebshormone, die u. A. Entzündungen verstärken und das Schmerzempfindung erhöhen. Keine Prostaglandine – keine Entzündung, keine Schmerzen! Salicin kommt in der Natur auch noch in anderen Pflanzen wie etwa dem Mädesüß und in diversen Pappeln vor, aber auch im Bibergeil.  

Damit hat das Salicin der Weidenrinde eine vergleichbare Wirkung wie die in diversen Schmerztabletten und fiebersenkenden Medikamenten enthaltene Azetylsalizylsäure (ASS). Wir kennen die Azetylsalizylsäure unter dem Handelsnamen Aspirin. Dieses Produkt der Bayer AG gehört zu den weltweit bekanntesten Arzneimitteln und steht heute als Synonym für azetylsalizylsäurehaltige Medikamente, manchmal sogar für Schmerztabletten allgemein. Die Azetylsalizylsäure wird in ganz unterschiedlichen Medikamenten vertrieben, auch in Kombination mit anderen Wirkstoffen. Neben ihrem klassischen Einsatzgebiet findet sie auch als Gerinnungshemmer Verwendung. 

Die Natur kann es besser!

Gleicher Wirkstoff, gleiche Wirkung – das scheint logisch. In zwei Punkten aber unterscheidet sich die Weidenrinde von der klassischen Aspirin-Tablette: Zum einen ist die gerinnungshemmende Wirkung geringer, zum anderen aber die schmerzstillende, entzündungshemmende Wirkung größer als es der Gehalt an Salicin vermuten lässt. Weidenrinde ist also bei korrekter Dosierung gegen Schmerzen und Entzündungen sogar effektiver als der Wirkstoff-Kollege aus der Schulmedizin! Dieses Phänomen lässt sich auch bei anderen Heilpflanzen beobachten; man vermutet, dass bislang wenig erforschte Synergieeffekte hier zum Tragen kommen. Verschiedene Inhaltsstoffe einer Pflanze unterstützen und verstärken sich gegenseitig – korrekt angewendet sind Heilpflanzen wie die Weidenrinde also keineswegs eine „Medizin light“! 

Text und Foto: Angelika Schmelzer