Stationäre Reha

Wenn man nicht mehr weiter weiß…

Es muss nicht immer eine große Operation sein oder eine ernsthafte, langwierige Erkrankung am Bewegungsapparat, die ein Pferd „reif“ für die Reha machen. Manchmal ist bei vielen Pferden einfach „der Wurm“ drin, die halbjährliche physiotherapeutische Überprüfung und die monatliche Trainingsstunde wirken nicht mehr nachhaltig. Pferd und Reiter haben sich festgefahren, mit gesundheitlichen Folgen fürs Pferd. Ein stationärer Aufenthalt in einer Reha-Einrichtung kann in vielen Fällen Abhilfe schaffen und Pferd und Reiter wieder auf den richtigen, gesunden Weg zurückbringen. Jennifer Friedrich betreibt mit IQ Horse Therapy eine Reha-Einrichtung zwischen Mainz und Koblenz und schildert, welche Möglichkeiten eine stationäre Reha inklusive therapeutischem Beritt für betroffene Pferde und Reiter bietet.

Was kann man sich unter stationärer Reha vorstellen?
Beim stationären Reha-Aufenthalt verbleibt das Pferd für eine bestimmte Dauer in der Einrichtung und wird dort täglich entsprechend seiner Problematik behandelt. Die Dauer richtet sich nach Schweregrad, Ist-Zustand und generell nach der Erkrankung bzw. den Problemen.
In einer stationären Reha wird zielgerichtet therapiert und es werden ganz individuell nach Befund alle notwendigen therapeutischen Maßnahmen angewendet. Meist findet eine Zusammenarbeit mit Tierärzten und Hufschmied und ggf. weiteren Therapeuten statt. Die Therapie sollte komplett individuell auf jedes Pferd abgestimmt werden! So wird gewährleistet, dass wirklich jedes Pferd auch die Therapie bekommt, die es benötigt, kein Schema F!
Ich persönlich nehme jeden Besitzer mit ins Boot, schließlich geht ja jeder Patient früher oder später wieder nach Hause und soll dort entsprechend geritten und gehändelt werden. Zum Ende der Therapie wird jeder Besitzer dahingehend angeleitet, sein Pferd in dem Zustand halten zu können, wie es von hier weggeht oder – im Idealfall – sogar noch zu verbessern. Das Ganze beurteile ich nach therapeutischen und biomechanischen Aspekten. Im Reha-Aufenthalt wird der Grundstein dahingehend gelegt, den Bewegungsablauf und die Bewegungsqualität beim Pferd dauerhaft zu verbessern und damit seinen Gesundheitszustand langfristig zu halten bzw. zu verbessern. Das Pferd ist so schon auf den richtigen Weg gebracht und hat seine Bewegungsumstellung erlernt. Der Besitzer kann dort anknüpfen, wo ich aufgehört habe.

Für welche Pferde ist eine stationäre Reha geeignet?
Ganz klar: für alle Pferde.
Zuerst denkt man natürlich an Pferde, die post OP betreut werden müssen. Für solche Patienten gibt es spezielle Einrichtungen, wo die Hygienevorgaben der Klinik strikt umgesetzt werden können.
In meiner Rehaeinrichtung habe ich Patienten, die aufgrund einer Erkrankung eine engmaschige therapeutische Betreuung benötigen – das bedeutet, eine tägliche physiotherapeutische Einheit aller zur Verfügung stehenden, individuell abgestimmten Anwendungen.
Ich habe beispielsweise Pferde, die nach der vorgegebenen Standzeit aus der Klinik nach einer Wobbler-Operation kommen. Diese Pferde sind früher ataktisch gewesen und müssen jetzt komplett neu lernen, sich zu koordinieren. Diese Aufgabe ist oft für den Besitzer allein nicht zu bewerkstelligen und benötigt eine dauerhafte, längerfristige, tägliche Betreuung. Solche Pferde benötigen aber keine Verbandswechsel oder eine aufwändige medizinische Nachbehandlung – hier geht es um zielgerichtete physiotherapeutische Aufbauarbeit. Sehr geeignet ist ein Reha-Aufenthalt auch zum Auftrainieren nach Verletzungen und damit verbundenen trainingsfreien Wochen oder gar Monaten.
Man stellt sich Reha immer im Zusammenhang mit einer schwerwiegenden Verletzung vor, aber dies ist in den meisten Fällen nicht das Hauptklientel. Das Hauptproblem vieler Pferde mit gesundheitlichen Einschränkungen, die oft in Schwierigkeiten unter dem Reiter bis hin zur Unrittigkeit münden, besteht oft darin, dass der Besitzer alleine einfach nicht mehr weiterkommt oder weiter weiß oder eine Einzelbehandlung, die man vor Ort durchführen kann, schlicht nicht ausreicht bzw. auf Dauer nicht zielführend ist oder keinen Bestand haben kann.

Viele stellen sich stationäre Reha sehr aufwendig vor, sprich mit Schwimmbad, Wasserlaufband, Führanlage und anderen technisch aufwendigen Geräten – geht´s auch anders?
Ja, definitiv. Bei den allermeisten meiner Fälle ist wichtig, dass das Pferd aus seiner biomechanischen Fehlhaltung herausgeführt wird. Aus meiner Sicht und erfahrungsgemäß muss das Pferd neue Bewegungsmuster erlernen und dazu benötigt man keine technischen Hilfsmittel. Der Mensch dahinter ist der Therapeut, nicht das Gerät. Nichtevidenzbasierte Therapiemöglichkeiten werden im großen Maße angeboten, aber leider sind sie oft mehr Schein als Sein und helfen den Betroffenen nicht aus dem Teufelskreis heraus.
Das Auftrainieren nach biomechanischen Grundsätzen und die professionelle physiotherapeutische Arbeit geht auch ohne aufwendige Therapieeinrichtungen. Sicher sind aber therapeutische Anwendungen mit Wärme und Kälte oder Dry Needling wichtige Hilfsmittel.
Übrigens: Oft ist es auch die Haltung, die eine große Rolle beim Genesungsfortschritt spielt. Daher sollte man grundsätzlich berücksichtigen, welche Haltungsbedingungen das Pferd gewöhnt ist, aber auch, ob eine Änderung der Haltungsbedingungen hilfreich sein könnte. Dementsprechend sollte man dann entscheiden, in welchen Reha-Betrieb man sein Pferd stellen möchte, welche Möglichkeiten angeboten werden. Ist zum Beispiel nur Boxenhaltung möglich oder wird auch individuell ein Paddock oder zusätzlich Weidegang angeboten? Wird gerade für Pferde, die Defizite am Bewegungsapparat zeigen, ausreichend Bewegung neben den Therapieeinheiten gewährleistet?
Häufig fürchten die Reiter, dass ihr Pferd während der Reha zu starke Einbußen in Sachen Training/Ausbildung macht.


Ist das berechtigt?
Nicht unbedingt. Es gibt Trainings- und Reha-Betriebe, die auch biomechanischen Beritt beziehungsweise Bewegungstraining anbieten und gerade in meinem Fall ist es so, dass die Pferde genau dahingehend hinsichtlich ihres Bewegungsmusters umgestellt werden und neben den unterstützenden Reha-Maßnahmen auch regelmäßiges Training bekommen sollen. Dabei geht es nicht um leistungsorientiertes Training auf bestimmte Disziplinen hin, sondern um gesunderhaltendes biomechanisches Aufbautraining, und dies Reitweisen übergreifend! Das Training nach gesunderhaltenen Grundsätzen sollte in einer Reha-Einrichtung fürs Pferd nicht zu kurz kommen.

Kann eine stationäre Reha den Beritt ersetzen bzw. können Reha und Beritt bei bestimmten Erkrankungen sinnvoll kombiniert
werden?

Ersetzen nicht, kombinieren absolut! Eine sinnvolle Kombination aus beidem ist absolut zielführend. In meinem Betrieb erlebe ich dies häufig am Beispiel von Pferden, die unter Headshaking leiden. Hier ist es absolut notwendig, sie aus ihrer Fehlhaltung – in den meisten Fällen eine Trageerschöpfung – herauszuholen und nach biomechanischen Grundsätzen korrekt zu arbeiten. Dabei geht es nicht allein um die Symptombekämpfung, sondern um die Ursache. Dies wiederum ist nur mit therapeutischem Beritt zu gewährleisten! Diesen Pferden helfen keine Pillen, Säfte, Spezialdecken oder andere Hilfsmittel. In vielen Fällen ist auch essenziell wichtig, dass der Besitzer lernt, die Bedürfnisse seines Pferdes zu erkennen und sich dementsprechend reiterlich umzustellen. Es hilft nichts, wenn das Pferd seine neuen Bewegungsmuster erlernt hat, der Besitzer nicht versteht, wie er diese beim Pferd fördern bzw. dauerhaft beibehalten kann.

Das Interview führte Friederike Fritz, Foto: IQ Horse