Stolz und Vorurteil
Über den offenen Umgang mit der Genetik
Geht es um den Umgang der Gemeinschaft von Quarter Horse-Freunden rund um den Globus mit dem Thema „Erbkrankheiten“, hat das sehr viel mit diesen beiden Begriffen „Stolz“ und „Vorurteil“ zu tun. Genauer: Im Vordergrund stehen oft die Vorurteile, wo es doch allen Anlass gäbe, einfach nur stolz zu sein. Also eher „Stolz statt Vorurteil“, um bei der literarischen Anlehnung an das berühmte Werk von Jane Austen zu bleiben. AQH-Züchter haben in Sachen „Erbkrankheiten“ nämlich allen Grund, stolz zu sein.
Stolz, weil die Fans und Züchter dieser Rasse Verantwortung übernehmen, konsequent handeln, vorausdenken und mit viel Aufwand im Sinne des einzelnen Pferdes und der Rasse tun, was einfach getan werden muss. Und das hat sogar Vorbildcharakter, denn mit der enormen Herausforderung sind wir in der Pferdwelt nicht allein. Aber wir sind ganz vorne.
Fehler im System
In der Pferdezucht lebt man immer mit einem gewissen Unsicherheitsfaktor. Durchdachte Anpaarungen helfen dabei, gewünschte Merkmale einer Rasse zu festigen und die Qualität stetig zu halten oder gar zu verbessern. Wie allerdings die genetisch angelegten Eigenschaften der Elterntiere in jedem Einzelfall kombiniert und im „Zuchtprodukt“ ausgeprägt werden, lässt sich nicht sicher planen. Züchter leben also damit, dass jede Fohlengeburt auch Überraschungen bringen kann. Doch ein infolge einer vererbten Veranlagung von Geburt an krankes, schwaches oder gar nicht lebensfähiges Fohlen als „Lohn“ all der Mühe? Ein Alptraum für jeden Pferdezüchter! Damit solche unliebsamen Überraschungen die absolute Ausnahme bleiben, hat man den Erbkrankheiten den Kampf angesagt.
Gene, die „Bau- und Gebrauchsanleitung“ für vererbbare Eigenschaften, sind fragile Gebilde und können im Fortpflanzungsprozess auch zum Nachteil des Individuums verändert werden. Unter bestimmten Umständen können dann krankmachende Variationen an die Nachkommen weitergegeben werden und sich innerhalb einer Population ausbreiten. Wenn dies geschieht, wenn dies geschehen ist, schlägt die Stunde der Zuchtorganisationen. Sie und nur sie haben die Mittel und die Macht, konsequent und mit langem Atem die (weitere) Ausbreitung solcher Erbkrankheiten einzudämmen.
Konzertierte Aktion
Erbkrankheiten sind Erkrankungen oder Krankheitsdispositionen, die durch die Vererbung mutierter Gene von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben werden.
Den Erbkrankheiten ist man schon länger auf der Spur, doch erst moderne Methoden der Genforschung haben es möglich gemacht, nach und nach betroffene Genorte zu identifizieren, Gentests zu entwickeln und zugänglich zu machen, unauffällige Anlagenträger ebenfalls sicher zu erkennen und am Ende durch eine angemessene Zuchtpolitik dafür zu sorgen, dass möglichst keine Pferde das Merkmal tragen, weitergeben und kranke Nachkommen erzeugen. Das ist heute wichtiger denn je, denn es ist ausgerechnet ebenfalls die moderne Forschung und ihre Errungenschaften, die zur Gefahr geworden ist. Wie kann das sein?
Aus Sicht einer Population können genetisch bedingte Erkrankungen unterschiedlich problematisch sein. Bei einer genetischen Veränderung etwa, die sich zu 100 % an jeden Nachkommen vererbt und immer zum frühen Tod oder zur Unfruchtbarkeit führt, besteht keine Gefahr, die genetische Störung an Nachkommen weiterzugeben. Die Krankheit hat keine Chance, sich in der Population auszubreiten.
Wesentlich gefährlicher für einen Genpool sind „richtige“ Erbkrankheiten, obwohl sie statistisch gesehen ungefährlicher für das Individuum sind. Denn: Erkrankt eben nicht jeder Träger eines veränderten Gens, sind schwere Erkrankungen selten, ist die Fruchtbarkeit nicht eingeschränkt, treten gesundheitliche Störungen erst später im Leben auf oder verlaufen lange unauffällig, dann hat das betroffene Pferd eine gute Chance, die Störung weiterzugeben. Und wenn dieses Individuum dann besonders erfolgreich ist, wenn er oder sie viele Nachkommen erzeugt, die für eine breite Streuung innerhalb der Population sorgen, ist der Genpool in Gefahr.
Kritisch werden solche Erbkrankheiten also,
• wenn der Anlagenträger ein Hengst ist, da Hengste meist bedeutend mehr Nachkommen haben als Stuten,
• weil es oft sehr viele Nachkommen einzelner Pferde („Modehengste“) gibt, die sich international gestreut finden,
• wenn der Genpool innerhalb einer Population oder einer Untergruppe eher eng, der Inzuchtfaktor hoch ist.
Die Entwicklung moderner Reproduktionstechniken ist also Fluch und Segen zugleich, denn sie ermöglicht es (unerkannt) belasteten Pferden, zahlreiche Nachkommen zu zeugen und sorgt zudem dafür, dass sich besonders gefragte Hengste vor allem innerhalb von Subpopulationen stark ausbreiten. Ohne Identifizierung problematischer Zuchtpferde und ohne Reglementierung des Einsatzes gäbe es kaum eine Chance, dem entgegenzuwirken.
Wie sieht eine solche Reglementierung im besten Fall aus? Ganz wichtig: Gleiche Regeln für alle. Und: Transparenz. Für all dies sind Zuchtverbände zuständig, und zwar nicht nur aus Gründen der Verantwortung für die Qualität der Rassezucht: Es darf auf keinen Fall übersehen werden, dass die Bekämpfung von Erbkrankheiten auch Teil des Tierschutzes ist. Unter das Gebot, Schmerzen, Leiden, Schäden abzuwenden, fallen ganz eindeutig auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Erbkrankheiten.
Stolz statt Vorurteil
Das alles ist mit erheblichem organisatorischem und finanziellem Aufwand verbunden, keine Frage. Zudem verlieren identifizierte Anlagenträger und ihre Nachkommen….
Text: Angelika Schmelzer, Foto: Daniel Djuric
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