Jungpferdehaltung: Frühes oder spätes Absetzen?

Zwischen dem vierten und sechsten Lebensmonat wird traditionell das Fohlen abgesetzt. Damit einher gehen meist auch die räumliche Trennung von Stute und Fohlen und ein völlig neuer Lebensabschnitt für das Fohlen. Neue Studien belegen, dass althergebrachte Methoden der Entwöhnung nicht immer pferdegerecht sind.
Die wissenschaftlich fundierte Forschung schlägt vor, die Praxis der künstlichen Entwöhnung zu überdenken, denn Studien zufolge ist das vom Menschen initiierte frühe Absetzen eines der stressigsten Ereignisse für das Fohlen und kann zahlreiche psychische und physische Folgen haben. Die Verhaltensforschung zeigt, dass das Absetzen bei wild lebenden Pferden viel später erfolgt und keinerlei Stress verursacht.
Das Absetzen wird generell als die traumatischste Zeit im Leben des Fohlens angesehen. Die Trennung von der Stute erfolgt in der Regel abrupt und zu einem Zeitpunkt, zu dem das Fohlen noch eng mit seiner Mutter verbunden ist. Durch dieses frühe Absetzen ist das Fohlen verschiedenen ernährungsbedingten, sozialen und umweltspezifischen Herausforderungen ausgesetzt. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass diese Praxis zu kurzfristigen und in einigen Fällen auch zu langfristigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen des heranwachsenden Pferdes führen kann. Die künstliche Entwöhnung von der Muttermilch im Alter von vier bis sechs Monaten geht auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Damals stellten Forscher fest, dass die Milch der Stute nicht mehr ausreicht, um das schnell wachsende Fohlen etwa vier Monate nach dem Abfohlen zu ernähren. Man schlussfolgerte daher, dass es für die körperliche Entwicklung von Fohlen gut sei, wenn man früh absetzt. Mit dem heutigen Wissen über das Wohlergehen von Pferden und den neuen Möglichkeiten der Pferdehaltung und -fütterung gibt es jedoch keinen vernünftigen Grund mehr, Fohlen und Stute so früh zu trennen. Trotzdem ist es aus praktischen und wirtschaftlichen Gründen immer noch eine weit verbreitete Praxis unter Züchtern.
Weit mehr als Nahrungsumstellung
Das Absetzen durch den Menschen bedeutet nicht nur, das Fohlen von der Muttermilch zu entwöhnen, sondern auch, die enge Bindung zur Mutterstute abrupt zu beenden. Diese ist aber entscheidend für gesundes Wachstum und Entwicklung des Fohlens, das Erlernen sozialer Verhaltensweisen und die Beziehungsfähigkeit zum Menschen. Studien zeigen, dass frühe Störungen der Mutter-Kind-Bindung das spätere Verhalten des Pferdes und die Beziehung zum Menschen beeinträchtigen können. Frühes Absetzen kann ferner die physische Gesundheit des Fohlens gefährden. So sind die Fohlen direkt nach dem Absetzen in höchster Alarmbereitschaft und setzen deutlich häufiger Kot ab. Sie versuchen häufig, über Zäune zu springen oder Boxenwände zu überwinden. Dieses Verhalten birgt die Gefahr von Verletzungen, insbesondere in den ersten beiden Tagen. Der damit verbundene enorme Stress kann zudem zu negativen Veränderungen der Magenschleimhaut führen. So fand man 2018 in einer Untersuchung an 45 Fohlen eines Zuchtbetriebes heraus, dass das Auftreten von Magenläsionen bei den Fohlen vor dem Absetzen bei 21 Prozent lag und sich dieser Wert zwei Wochen nach dem Absetzen auf 98 Prozent erhöhte. Häufig sind Fohlen betroffen, die eher rangniedrig sind und erst später in die Gruppe integriert wurden. Ein langer Transport oder vorherige Erkrankungen können zudem Probleme mit der Magenschleimhaut fördern. Erste Anzeichen bei den Fohlen sind schlechte Gewichtszunahmen, glanzloses, struppiges Fell, Zähneknirschen und Flehmen, Aufstoßen oder kolikartige Symptome nach dem Fressen.
Mit fortschreitender Trennung beruhigt sich der Absetzer zwar, Verhaltensänderungen wie beispielsweise verändertes Fress- und Schlafverhalten können sich aber über einen längeren Zeitraum hinweg zeigen. Manche Fohlen werden aggressiver und hören auf zu spielen. Andere verlagern ihr Saugverhalten aus Frustration auf gleichaltrige Artgenossen. Mehrere wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass das abrupte Absetzen eine der Hauptursachen für Stereotypien und Verhaltensstörungen ist. So zeigten bei einer Untersuchung von 225 jungen Pferden, die im Alter von fünf Monaten abgesetzt wurden, 30 Prozent nach zehn Wochen abnormales Holzkauen und 7 Prozent wiesen im Alter von 1,5 Jahren stereotypes Verhalten auf. Darüber hinaus stellten die Forscher fest, dass stereotype Pferde häufiger Beeinträchtigungen beim Lernverhalten haben als gesunde Pferde.
Weniger Stress beim graduellen Absetzen
„Die Trennung von der Stute stellt für das Fohlen in jedem Fall eine Belastung dar. Das Ausmaß der Stressreaktion hängt jedoch entscheidend von der Absetzmethode ab“, sagt Prof. Dr. Christine Aurich von der Vetmeduni Wien, die im Haupt- und Landgestüt Neustadt/Dosse mehrere Absetzvarianten untersucht hat. Traditionell wird in der Pferdezucht meist das abrupte Absetzen durchgeführt, da es gegenüber einem graduellen, also schrittweisen Absetzen mit einem deutlich geringeren Arbeitsaufwand verbunden ist. Dadurch wird dem Fohlen aber schlagartig die Nahrungsquelle, der Schutz der Mutter sowie meist auch die vertraute Umgebung entzogen, was mit erheblichem Stress verbunden sei. „Wie die Ergebnisse der eigenen Untersuchungen zeigen, bieten verträgliche und den Fohlen vertraute erwachsene Begleitpferde (Stuten ohne Fohlen oder Wallache) den Absetzern soziale Sicherheit. Dadurch kann der Verlust der Mutterstute zu einem gewissen Grad kompensiert werden, sodass die Stressantwort des Fohlens geringer ausfällt“, so Aurich, die den Stresslevel anhand des…
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Text und Foto: Birgit van Damsen