Zukunftsmusik Zuchtwertschätzung
Fortschritt in der Pferdezucht
Ziel einer Rassezucht ist stets nicht nur ein homogenes Erscheinungsbild der Zuchtprodukte, sondern auch Gesundheit, Leistungsbereitschaft und-vermögen sowie Langlebigkeit. Moderne Tools helfen den Züchtern dabei, ihre Zucht zu optimieren. DQHA-Zuchtrichterin Nina Obermüller erläutert die Vorteile der Zuchtwertschätzung.
Ob zwischen Mähne zöpfeln und Hufe blacken auf einem Turnier, nach der Siegerehrung einer Zuchtschau, beim lockeren Ausklang eines Hoftermins oder zu anderen Gelegenheiten, bei denen American Quarter Horse-Interessierte zusammenkommen, immer wieder wird mir die Frage gestellt „Warum macht Ihr das eigentlich mit der linearen Beschreibung und dem Vorstellen der Pferde und was genau habe ich davon?“ Das zeigt mir regelmäßig, dass wir noch viel mehr über die Lineare Beschreibung und unsere Ziele und Motivation dahinter sprechen müssen. Einen Anfang möchte ich mit diesem Artikel machen.
Zugegeben, das Thema ist weder einfach noch lässt es sich mal eben erklären, aber es ist es wert, ein bisschen Zeit zu investieren und sich damit zu beschäftigen. Hier der Versuch einer Erklärung: Die Zuchtwertschätzung in der Pferdezucht beruht auf dem klassischen, statistischen Verfahren der Nutztierzucht und der Kynologie (Hundezucht), welches in den 1940er Jahren von Charles Roy Henderson, einem US-amerikanischen Statistiker und Tierzüchter, entwickelt wurde. Es dient zur Bewertung und Vorhersage der genetischen Qualität eines Tieres in Bezug auf seine Fähigkeit, erwünschte Merkmale an seine Nachkommen weiterzugeben. Dieses Verfahren wird verwendet, um die Zuchtplanung zu optimieren und die genetische Verbesserung der Pferdepopulation zu fördern. Es ist wichtig, dass die Anpaarungsentscheidungen sorgfältig getroffen werden, um die Qualität der Zuchtlinien zu verbessern.
DQHA beschreibt seit 2015 linear
Die 2015 von der DQHA-Mitgliederversammlung beschlossene und daraufhin eingeführte Lineare Beschreibung dient hierbei als verbessertes Verfahren der Phänotyp(Erscheinungsbild)-Erfassung in der AQH-Zucht.
Dieses Verfahren wurde bereits vor vielen Jahren bei den Rindern eingeführt und hatte seinen Ursprung in den USA. Bereits in den 90-er Jahren wurde es in der Pferdezucht etabliert und findet weltweit und auch in Deutschland Anwendung. Was darüber hinaus noch weiter möglich wäre, erklärt die Zuchtwertschätzung, die schon in einigen Pferdezuchtverbänden angewendet wird.
Zuchtwertschätzung – was ist das?
Der Zuchtwert ist definiert als die Wirkung der Gene, wenn diese mit den Genen der anderen Pferde kombiniert werden. Ein Pferd hat z. B. Gene, welche den Typ rassetypisch belassen, die Größe verstärken, die Fruchtbarkeit reduzieren, den Raumgriff im Gang reduzieren usw. Für jedes Merkmal kann die Wirkung der in diesem Pferd vorliegenden Erb-anlagen verschieden sein.
Das heißt konkret, dass nicht die Wirkung der Gene bei dem Pferd selbst wichtig ist, sondern es interessiert vorrangig was passiert, wenn z. B. die Gene eines Hengstes mit den Genen der in der Rasse vorhandenen Stuten kombiniert werden. Von Interesse ist also, was in der nächsten Generation durch dieses Zuchttier entsteht.
Welche Informationen werden genutzt?
Für die Beschreibung des Zuchtwertes muss man sich auf das Erscheinungsbild stützen, dass von den Genen bzw. den Genwirkungen (Genetik) mitbestimmt wird. Dieser sog. Phänotyp ist aber nur die Genwirkung in Verbindung mit der Wirkung von Aufzucht, Prägung, Ernährung, Erziehung und Erfahrung, also in Verbindung mit spezifischer Umwelt. Aus diesem Grund darf man Leistung bzw. Erscheinung eines Tieres nicht mit seiner genetischen Veranlagung gleichsetzen.
Es gilt also die Formel:
Genetik = Phänotyp/Erscheinungsbild – Umwelt
Die Informationen, aus denen der Zuchtwert für das Einzeltier erstellt wird, basiert auf der Analyse von Daten, die aus der Leistung und den Merkmalen von Pferden sowie deren Vorfahren und Nachkommen gesammelt werden, d. h. also aus den Ergebnissen der
• Zuchtbuchaufnahme = Linearen Beschreibung,
• Hengstleistungsprüfung,
• Zuchtstutenprüfungen.
Was ist der Zuchtwert?
Der Zuchtwert (Estimated Breeding Value, EBV) ist das Ergebnis der Zuchtwertschätzung. Er gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Pferd bestimmte gewünschte Merkmale an seine Nachkommen vererbt.
Der Zuchtwert ist ein reiner Zahlenwert in der Zucht, für jeweils ein Merkmal. Dieser numerische Wert steht in erster Linie nicht im Zusammenhang mit „wertvoll“ oder „wertlos“! Er beschreibt, welche Wirkung die Gene eines Tieres auf ein einzelnes Merkmal haben, wenn diese mit den Genen der anderen Tiere der Rasse kombiniert werden und durchschnittliche Umweltverhältnisse herrschen.
Ein höherer Zuchtwert deutet auf eine höhere genetische Qualität für das jeweilige Merkmal hin.
Zur Vereinfachung werden Zucht-werte als Relativ-Zuchtwerte ausgegeben, wobei 100 der Rassendurchschnitt ist:
- Pferde mit einem Zuchtwert über 100 verbessern das Merkmal,
- Pferde mit einem Zuchtwert unter 100 verschlechtern das Merkmal.
Beispiel Zuchtstute mit Zuchtwerten:
Rassetyp = 116
Widerristlänge = 92
Galopp-Rückentätigkeit = 128
Ganaschenfreiheit = 95
Diese Zuchtstute hat ihre Vererbungsstärken in der Galopp-Rückentätigkeit und im Rassetyp. Hier liegt sie mit ihren Zuchtwerten weit über dem Populationsdurchschnitt von 100. In den beiden anderen Merkmalen liegt die Zuchterwartung darunter. In der Anpaarung sollten deshalb Hengste gewählt werden, die die guten Erwartungswerte für Bewegung und Typ erhalten, aber verbessernd auf Widerristlänge und Ganaschenfreiheit wirken.
Wichtig für die Interpretation der Zuchtwerte ist die Sicherheit der Zuchtwertschätzung. Die Sicherheit ist eine Maßzahl, die die vorliegende Informationsmenge und Informationsqualität charakterisiert.
Für Pferde mit wenig verfügbaren Informationen (wenn etwa nur von der Mutter oder nur von dem Vater Informationen vorliegen) oder für Pferde, die nur über Eigenleistungen verfügen, wird der Zuchtwert „vorsichtiger“ geschätzt als für Pferde mit umfangreichen Informationen. Dies ist ein Indikator für die zu erwartenden Schwankungen des Zuchtwertes. Je höher die Sicherheit, desto geringer sind künftig zu erwartenden Veränderungen in der Höhe des Zuchtwertes.
Die Sicherheit der Schätzung hängt, weiterhin ab von
- der Erblichkeit des Merkmals,
- der Qualität der vorliegenden Daten,
- dem Informationsumfang
- sowie dem Verwandtschaftsgrad der Tiere, die zum Zuchtwert beitragen.
Wie werden die Zuchtwerte berechnet?
Moderne Zuchtwertschätzungen verwenden fortschrittliche statistische Methoden und genetische Modelle, um den Zuchtwert eines Pferdes zu berechnen. Diese Modelle berücksichtigen die Vererbungsmuster und die Umweltfaktoren, die Leistung und Merkmale eines Pferdes beeinflussen können.
Modelle wie z. B. das sogenannte „BLUP Tiermodell“ (Best Linear Unbiased Prediction, bestmögliche nach einem linearen Modell geschätzte unverfälschte Vorhersage) werden verwendet, um die genetischen Parameter zu schätzen. Diese Modelle berücksichtigen die Vererbung und die Umweltfaktoren, die die Leistung eines Pferdes beeinflussen.
Das BLUP Tiermodell berücksichtigt sowohl die Leistung des Tieres als auch die Leistung seiner Verwandten. Es integriert verschiedene Informationsquellen, darunter phänotypische Daten, Verwandtschaftsinformationen (Stamm-bäume, genetische Verbindungen zwischen Tieren) und Umweltfaktoren (Unterschiede in der Umwelt, die die Leistung beeinflussen können).
Durch Einbeziehung dieser Daten kann das BLUP Tiermodell die genetischen Werte genauer schätzen und somit die Selektionseffizienz verbessern.
Es ist derzeit die beste Methode zur Schätzung von Zuchtwerten für quantitative Merkmale und wird als Standardmethode zur Schätzung der Erbschaftserwartungen im gesamten Bereich der Tierzucht verwendet.
Vorteile für die Züchter
Die Zuchtwertschätzung dient als Orientierungs-, Anleitungs- und Entscheidungshilfe und ermöglicht Züchtern
- sowohl die Stärken und Schwächen der eigenen Zuchttiere einzuordnen
- als auch die genetischen Potenziale der Zuchttiere genau zu bewerten
- und gezielt Pferde mit den besten genetischen Eigenschaften auszuwählen und somit die eigene Selektionsentscheidung abzusichern.
Dies dient langfristig der Verbesserung der Beratung der Züchter durch den Zuchtverband und somit zur Stärkung des Zuchtprogrammes und der gezielten Steigerung des Zuchtfortschrittes und somit zu einer verbesserten Genetik der Population.
Durch den Einsatz der Zuchtwertschätzung sind Züchter in der Lage, den genetischen Fortschritt in der Pferdezucht zu beschleunigen und besser zu steuern. Dies führt zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Population hinsichtlich Leistung, Exterieur, Langlebigkeit und anderen wichtigen Merkmalen wie z. B. Gesundheit, was gleichzeitig die Tierarztkosten senkt. Zudem können Züchter durch die gezielte Selektion nach Zuchtwerten die Wirtschaftlichkeit ihrer Betriebe verbessern.
Werkzeug der modernen Pferdezucht
Insgesamt ist die Zuchtwertschätzung ein wesentliches Werkzeug in der modernen Pferdezucht, das dazu beiträgt, die genetische Basis der Zuchtpopulation systematisch zu verbessern und die Ziele der Züchter zu erreichen. Zuchtwertschätzungen schaffen eine transparente Grundlage für den Vergleich von Pferden innerhalb einer Population. Dies erleichtert die Entscheidungsfindung und verbessert die Kommunikation zwischen Züchtern und dem Zuchtverband.
Die Verwendung von Zuchtwerten ermöglicht eine systematische und wissenschaftlich fundierte Herangehensweise an die Zucht. Dies führt zu strukturierten Zuchtprogrammen mit klaren Zielen und messbaren Fortschritten, wozu der Zuchtverband gesetzlich verpflichtet ist! Insgesamt bietet die Zuchtwertschätzung Züchtern ein leistungsfähiges Instrument, um die genetische Qualität ihrer Pferde kontinuierlich zu verbessern, was zu wirtschaftlichem Erfolg und nachhaltiger Pferdezucht beiträgt.
Text: Nina Obermüller (Quelle: Peter Pracht, TG Verlag)