Vom Denken des Pferdes und seinen Reflexen

Vom Denken des Pferdes und seinen Reflexen

Martin Kreuzer, einer der bekanntesten Trainer Deutschlands in Sachen Horsemanship, gibt in der vorliegenden Ausgabe weiteren Einblick in seine Sichtweise auf das Pferd und vor allem in die Perspektiven des Pferdes selbst. Im zweiten Teil der Serie geht es vor allem darum, wie das Pferd im Gegensatz zum Menschen denkt und wie Reflexe und Handlungen zustande kommen. Ohne die Perspektive des Pferdes zu kennen, wird der Kontakt zum Tier immer schwierig und das Training nicht ohne Probleme bleiben.

Pferde sind Aktionstiere, die handeln. Dies zu betonen, ist Martin Kreuzer enorm wichtig. „Pferde planen nicht oder verschwören sich gegen uns“, stellt er klar. „Alle Theorien, die oft ausgesprochen werden, sind mit unserem menschlichen Gehirn und unseren Empfindungen schlichtweg gleichgesetzt. Doch das ist nicht die Art, wie ein Pferd denkt und handelt. Sie können aufgrund ihrer Gehirnstruktur solche Dinge nicht ausführen.“

Ein Ereignis löst beim Pferd schlicht eine Handlung aus. „Und es ist genau die Handlung, die ihm in diesem Moment angebracht erscheint. Es ist nicht die Handlung, die für die Zukunft am besten ist.“

Wenn ein Pferd jedoch in der Vergangenheit eine Erfahrung gemacht hat, die nicht gut ausgegangen ist, dann ist es in der Lage, seine Handlung in der gleichen Situation mit der Zeit anzupassen. Planen ist allerdings nicht möglich, betont Kreuzer.

Assoziatives Denken

Das Pferd ist ein assoziativer Denker, erklärt Martin Kreuzer. „Damit hat es eine ganz andere Denkweise als ein Mensch, der ein linearer und lateraler Denker ist. Und ja, manchmal fällt es uns schwer, diese Unterschiede zu erkennen und nicht zu vermenschlichen. Am besten zu erklären ist das assoziative Denken damit, dass ein Pferd, das sich beispielsweise einmal an einer Ecke mit einem Spiegel oder einem bestimmten Gegenstand erschreckt hat, sich immer wieder erschrecken wird. Es assoziiert damit eine Gefahr. Allerdings kann dem natürlich durch entsprechendes Training entgegengewirkt werden. Irgendwann wird das Pferd damit keine Gefahr mehr assoziieren, aber das erfordert teils langwierige Arbeit.“

„Die Informationen, dass ein Gegenstand gefährlich ist, müssen erst durch positive Erfahrungen praktisch gelöscht werden“, beschreibt der erfahrene Trainer. „Das Pferd muss neue Erinnerungen bekommen, dass bestimmte Gegenstände wie etwa ein Plakat oder eine Plastiktüte, ein Regenschirm oder bei Veranstaltungen auch eine Kamera keine Gefahr bedeuten.“

Es muss außerdem nicht exakt der gleiche Gegenstand sein, um eine Angstreaktion beim Pferd heraufzubeschwören, betont Martin Kreuzer. „Es kann auch ein Gegenstand etwa in der gleichen Farbe oder der gleichen Form sein, den es mit seiner Erinnerung assoziiert. Daher ist das Training, um einer solchen Angstreaktion entgegenzuwirken, häufig langwierig und nicht einfach.“

Dem Pferd fällt es übrigens wie einem Kind ganz leicht, alle möglichen Geschehnisse um es herum wahrzunehmen. „Dies wird dem Menschen im Laufe der Jahre aberzogen. Er soll sich auf etwas konzentrieren lernen“, erklärt Martin Kreuzer. „Beim Pferd ist es allerdings so, dass es überlebenswichtig ist, dass es nicht nur ein Ding wahrnimmt. Zumindest ist das im Laufe seiner Evolution so gewesen und auch heute darum noch in seinem Wesen verankert.“

Verladen aus der Sicht des Pferdes

Ein weitverbreitetes Problem ist, dass ein Pferd nur schwer zu verladen ist. Martin Kreuzer betrachtet dies aus Sicht des Pferdes, das schlechte Erfahrungen beim ersten Verladen gesammelt hat. „Diese sind unwiderruflich in seinem Gehirn gespeichert und müssen praktisch erst überschrieben werden, damit diese nicht mehr in der gleichen Situation aufgerufen werden.“

Der Ausbilder betont, dass diese Erinnerung dadurch, dass in der Situation auch Stress im Spiel war, zudem in vorderster Reihe der wichtigen (und gefährlichen) Erinnerungen steht. „Die Probleme bei jedem weiteren Verladen des Pferdes sind demnach programmiert. Die Art und Weise, wie ein Pferd denkt, lassen es gar nicht anders zu“, betont Kreuzer. „Doch es gibt einen Weg aus der Misere. Schlüssel dazu ist, dass Pferde Energiesparer sind. Darauf sind wir ja im ersten Teil der Serie bereits eingegangen. Arbeit verbraucht Energie. Deshalb muss das Gewünschte immer so leicht wie möglich gemacht werden. Ruhe gibt es gegen Arbeit. Also müssen wir als Trainer dem Pferd zeigen, dass es vor dem Hänger unkomfortabel ist. Es soll dort nicht stehenbleiben wollen oder sich gar abwenden. Im Hänger selbst ist es auf jeden Fall komfortabler und ruhiger und damit mit weniger Energieaufwand verbunden als davor. Das Pferd wird den Hänger dann als etwas Positives wahrnehmen, diese Bilder entsprechend abspeichern und was davor gespeichert war, überschreiben.“

Es gilt also, dass der Ausbilder lernen muss, assoziativ wie das Pferd zu denken. Es würde nichts bringen, das Pferd zu einer anderen Denkweise umpolen zu wollen. Der Schlüssel liegt bei uns selbst.

Der Oppositionsreflex

Was kompliziert klingt, ist eine natürliche Reaktion des Pferdes auf Druck an der Flanke. Wer dies schon einmal ausprobiert hat, wird eine eher untypische Reaktion entdecken. „Normalerweise würden wir vermuten, dass das Pferd sich dem „Angreifer“ als Fluchttier entziehen möchte. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das Pferd lehnt sich instinktiv gegen unsere Hand“; beschreibt Martin Kreuzer. „Auch wenn das auf den ersten Blick erstaunt, hat doch alles einen ganz und gar sinnvollen Hintergrund, der dem Wildpferd einst das Überleben sicherte. Wenn das Pferd schon die Krallen des Angreifers an der Flanke spürt, dann kann es nur überleben, wenn es nicht weiter davonläuft, sondern sich dem Angreifer entgegenstellt.“

Martin Kreuzer betont, dass es überaus wichtig ist, diesen Aspekt bei der Arbeit mit Pferden zu beachten. Letztendlich tut das Pferd durch den Oppositionsreflex genau das Gegenteil von dem, was wir von ihm verlangen, wenn wir ihm Hilfen geben. Wir möchten nicht, dass das Pferd sich gegen Gebiss oder Schenkel lehnt. „Das Gegenteil sollte der Fall sein. Wir möchten, dass das Pferd dem Druck weicht. Das Pferd agiert hier aber gegen seinen natürlichen Instinkt. Es muss im Laufe seiner Ausbildung lernen, dem Druck nachzugeben.“

Das Pferd auf diesen Weg zu bringen, dauert ziemlich lange, betont Martin Kreuzer. Es kann nichts erzwungen oder beschleunigt werden. Auf das richtige Timing kommt es hier an. „Außerdem muss jede noch so kleine Idee des Pferdes in die richtige Richtung belohnt werden. Es ist wohl am allerwichtigsten, dass der Reiter hier im Zuge der Ausbildung immer ruhig und gelassen bleibt.“ 

Reflex als Grundlage 

Aus dem Oppositionsreflex heraus wird die Grundlage für das „Vorrücken und sich zurückziehen“ gebildet, beschreibt Martin Kreuzer. 

Dieses Prinzip, das laut Überlieferungen zunächst von Indianern in Nordamerika praktiziert wurde, hat heute Einzug in die Lehre des Horsemanship gefunden.

„Wer ein Pferd über die normale Fluchtdistanz hinaus vor sich hertreibt, der wird irgendwann die Erfahrung machen, dass es einem folgt, wenn man mit dem Treiben aufhört und sich zurückzieht“, erklärt Kreuzer. „Im Round Pen wird dies bei der Arbeit gerne gemacht. Allerdings gehört hierzu stetiges Üben. Solche Kommunikation zwischen Reiter und Pferd muss Schritt für Schritt erlernt werden, auch wenn der Reflex dazu vorhanden ist.“ 

Die richtige Reaktion auf das Verhalten des Pferdes muss erlernt werden. „Es ist wichtig, dass der Mensch auf das Verhalten des Tieres richtig reagiert. Er muss ein Gefühl für das richtige Treiben entwickeln“, beschreibt Martin Kreuzer. „Die Gesten des Pferdes müssen richtig gedeutet werden und das gelingt nur durch stetiges Training, am besten und zu Beginn immer unter erfahrener Anleitung. Reagiert der Mensch falsch, kommt es schnell zu Missverständnissen und zu Frustration auf Seiten des Pferdes.“

Im nächsten Teil gehen wir auf die Sinne des Pferdes und sein Gehirn und dessen Aufbau ein und erklären, wie wir nach diesen Erkenntnissen das richtige Umfeld schaffen können.

Text: Alexandra Koch Foto: C. Slawik