Aus der DQHA Zuchtleitung: „Neue“ Gendefekte

IMM & PSSM2 beschäftigen die Zucht

Gendefekte sind ein hochaktuelles Thema in der Tierzucht und werden in den Verbänden und Züchterkreisen entsprechend intensiv diskutiert. Die Auswirkungen von Gendefekten betreffen vor allem den Tierschutz, aber auch die wirtschaftlichen Folgen können erheblich sein. Zusätzlich belasten diagnostizierte Gendefekte bei Zuchttieren auch die finanzielle Lage der Züchter. 

In der Tierzucht sind mittlerweile über 6.000 Gendefekte bekannt, über 800 alleine in der Hundezucht. Die allermeisten davon sind rassespezifisch, nicht selten auch speziellen Blutlinien zuzuordnen. Eine zu enge Linienführung und Zucht-Extreme begünstigen die Mutationsneigung und die Entstehung von Gendefekten. 

Während einige Gendefekte im Lauf der (Pferde-)Zuchtgeschichte durchaus erwünscht sind bzw. waren, sind andere eher nachteilig bzw. unerwünscht. Viele der heute vorkommenden Pferdefarben sind beispielsweise mutationsbedingt und spielen bei Kaufentscheidungen häufig eine wichtige Rolle. Zuchtziele wie „ruhige, genügsame und leichtfuttrige Pferde“ begünstigten in der Vergangenheit die Verbreitung von PSSM-Trägern und hatten in Zeiten mühseliger Futterbeschaffung durchaus ihre Berechtigung.

Gar nicht so neu

Obwohl die meisten Gendefekte in der Pferdezucht schon vor Jahrhunderten entstanden sind, bieten Forschung und Wissenschaft erst heute die Möglichkeit, Gendefekte zu entdecken und zu bestimmen. Sie helfen somit, viele bislang unspezifisch auftretende Symptome zu erklären. Diese neuen Erkenntnisse können so in den jeweiligen Zuchtprogrammen berücksichtigt werden. 

Dadurch haben die Züchter bei der Planung ihrer Anpaarungen die Möglichkeit, Trägertiere zu umgehen, um die Weitergabe von Gendefekten möglichst auszuschließen bzw. zumindest bei rezessiven Anlagen einen Krankheitsausbruch bei der Nachzucht zu verhindern. 

Das Ziel, langfristig eine gendefektfreie Population zu bekommen, kann nur mit offenem Umgang und umfassenden Informationen rund um Gendefekte erreicht werden. Alle Trägertiere in nur einer Generation von der Zucht ausschließen zu wollen wäre unrealistisch, übertrieben und würde den Verlust wertvollen genetischen Materials bedeuten. Mit konsequenten Zuchtprogrammen und gezielten Anpaarungen wird man diesem Ziel aber mit jeder Generation näherkommen. 

AQH-Zucht: Tests sind Standard

Obwohl Gendefekt-Untersuchungen beim American Quarter Horse besonders für die Hengstlinien schon seit über einer Dekade zum Standard (5-Panel-Test) gehören, werden doch immer wieder „neue“ Gendefekte entdeckt. 

Die Symptome und Krankheitsbilder von IMM und PSSM2 sind schon länger bekannt, konnten aber erst in allerjüngster Zeit auch einer genetischen Veranlagung zugeordnet werden. Dieses Wissen kann dazu genutzt werden, unnötiges Leid zu vermeiden und die finanziellen Belastungen der Züchter geringer zu halten, weil die Gründe bekannt sind und dadurch die Behandlungsansätze für die einzelnen Tiere angepasst werden können. 

Die DQHA empfiehlt zunächst, positive Trägertiere nicht miteinander anzupaaren. Die Testung auf PSSM2 ist derzeit in Eigenverantwortung der Züchter. Weitere Verbandsvorgaben werden sich an zukünftigen Forschungsergebnissen und Vererbungsinformationen orientieren.  

DQHA arbeitet eng mit Wissenschaftlern zusammen

Im Zuge dessen arbeitet die DQHA mit den Experten des Center for Animal Genetics (CAG) in Tübingen zusammen. Der Test auf PSSM2 wird momentan exklusiv vom CAG angeboten und ist entgegen der früheren Praxis, der Muskelbiopsie, jetzt als Haartest möglich!  

Dr. Melissa L. Cox, Wissenschaftliche Leiterin des CAG Labors in Tübingen, erklärt anhand von Beispielen aus Ihrer Praxis, wie sich solche Krankheitsverläufe äußern und informiert über mögliche Auslöser, die zum Krankheitsausbruch führen können.  

Was ist die Polysaccharide Storage Myopathy Typ 2, PSSM2?

PSSM2 steht für „Polysaccharide Storage Myopathy Typ 2“ und ist ein Sammelbegriff für mehrere erblich bedingte Muskelerkrankungen, die sich in sehr ähnlichen Symptomen äußern. Der Name wurde in Anlehnung an PSSM Typ 1 gegeben, da PSSM1 nahezu die gleichen Symptome hervorruft und somit von außen betrachtet kaum zu unterscheiden ist. PSSM2 ist im eigentlichen Sinne keine Polysaccharid-Speicher Krankheit, sondern resultiert aus Veränderungen in den Muskelfibrillen. Bislang erfolgte die Diagnosestellung von PSSM2 als eine Ausschlussdiagnose: Zeigte sich die Muskelbiopsie auffällig und der Gentest auf PSSM1 fiel negativ aus, so lag der Verdacht nahe, dass es sich um PSSM2 handelt. Die genetische Ursache von vier Myopathien, die zu PSSM2 gezählt werden, wurde bereits identifiziert.  

Typische Symptome für Equine Myopathien (PSSM2)

Erste Symptome von PSSM2 zeigen sich meist erst ab einem Alter von 7 – 10 Jahren:  

• Schmerzbedingte Bewegungsunlust 

• Wechselnde Lahmheiten 

• Starker Muskelabbau (v.a. in der Hinterhand und im Schultergürtel) 

• Ataktischer Gang/Koordinationsprobleme 

• Muskelverspannungen/Kreuzverschlagsanzeichen  

Genetischer Test und Vererbung

Unter PSSM2 werden genetische Variationen zusammengefasst, die Symptome einer Muskelerkrankung hervorrufen, die jedoch nicht der für PSSM1 verantwortlichen Variation GYS1-R309H entsprechen. Vier mit PSSM2 in Verbindung stehende Variationen wurden bislang gefunden und können mittels genetischem Test nachgewiesen werden.  

Die Vererbung dieser Varianten erfolgt semidominant. Dies bedeutet, dass bereits eine Kopie einer der Varianten das Risiko erhöht, dass das Pferd an PSSM2/Equiner Myopathie erkrankt. Trägt ein Pferd zwei Kopien einer Variation, zeigen sich die ersten Krankheitssymptome deutlich früher, mit schwererem Krankheitsverlauf. Ein Pferd kann auch eine Kombination mehrerer Varianten tragen. 

Wann sollte ein Pferd getestet werden?

Alle Pferde mit unklaren Lahmheiten und/oder starkem Muskelabbau sowie Bewegungsunlust ohne klare Ursache sollten getestet werden. Im Gegensatz zur Muskelbiopsie ist für den genetischen Befund lediglich eine Schweif- oder Mähnenhaarprobe (mit Wurzel) erforderlich. So kann dem erkrankten Pferd zusätzlicher Stress erspart werden und es kann bei der Diagnose zwischen den verschiedenen Myopathieformen unterschieden werden, sodass dem Patienten frühzeitig gezielt geholfen werden kann.  

Der Gentest lässt sich bei Pferden jedes Alters durchführen, Pferde können bereits vor Auftreten der ersten Symptome getestet werden, beispielsweise im Rahmen einer Ankaufsuntersuchung und vor dem Zuchteinsatz. 

Umgang mit an PSSM2 erkrankten Pferden

PSSM2 Erkrankungen sind nicht heilbar. Die meisten von PSSM2 betroffenen Pferde profitieren von einer angepassten Fütterung mit hohem Fett- und Proteinanteil und/oder Supplementation der Aminosäuren Lysin, Threonin, Methionin sowie angepasster Haltung mit regelmäßigem Training. 

Sonderfall PSSM2 – semidominanter Erbgang, unvollständige Penetranz Semidominante Erkrankungen (unvollständige Penetranz) haben eine große Variabilität in der Ausprägung der Symptome. Tiere, die die gleiche Mutation tragen, zeigen zum Teil stark unterschiedliche klinische Profile. Während ein Pferd nur sehr leichte Symptome zeigt, kann ein anderes deutlich stärker betroffen sein. Die Varianz in der Ausprägung kann durch andere (bekannte und unbekannte) genetische Varianten oder durch Umwelteinflüsse (z.B. Ernährung, Haltung, Stress) bedingt sein.  

Aus diesem Grund ist ein vollständiges Verbot der Zucht mit Pferden, die eine der bekannten Mutationen haben, nicht unbedingt sinnvoll. Durch das Ausschließen aller betroffenen Tiere aus der Zucht würde die Zuchtpopulation künstlich reduziert werden, was zum verstärkten Auftreten anderer genetischer Erkrankungen führen kann, wodurch die Rasse unter Umständen noch größeren Schaden nehmen könnte. 

Was gilt es als Züchter zu beachten?

• Spätes Auftreten der ersten Symptome (7-10 Jahre). Die Tiere erscheinen zum Zeitpunkt des ersten Zuchteinsatzes gesund. Nur ein Gentest gibt Aufschluss darüber, ob ein Pferd eine oder mehrere der Varianten trägt und ermöglicht so einen verantwortungsvollen Zuchteinsatz.  

Besitzt es eine oder mehrere der Varianten, beachten Sie bitte die folgenden Punkte:  

• Pferde mit mehr als einer schädlichen genetischen Variante sollten nicht in der Zucht eingesetzt werden, da in diesen Fällen Symptome oft schon früher auftreten und die Erkrankung meist einen schwereren Verlauf nimmt.  

• Pferde, die nur eine der bekannten Mutationen tragen und ansonsten gesund sind, hervorragende Vertreter ihrer Rasse sind und somit einen hohen genetischen und züchterischen Wert haben, können nach sorgfältiger Abwägung aller Faktoren und Beratung mit einem Tierarzt, dem Zuchtbuchführer und einem Tiergenetiker zur Zucht eingesetzt werden. In einem solchen Fall sollte das Pferd nur mit einem Pferd verpaart werden, das auf alle bekannten genetischen Varianten normal getestet wurde.  

MYH1 Myopathien: Immunvermittelte Myositis (IMM) & non-exertional Rhabdomyolysis (non-ER, nicht-belastungsinduzierte Rhabdomyolyse)

Ein ansonsten gesundes Quarter Horse wird plötzlich krank und verliert in weniger als einer Woche 40% seiner Muskelmasse. Ein anderes Quarter Horse erkrankt an Druse (Streptococcus equi) und gerade als es sich zu erholen scheint, verliert es auf ähnliche Weise seine Muskelmasse. Bei beiden Pferden ist der Muskelverlust entlang der Rückenlinie und der Hinterhand am stärksten. Ist das nur Zufall oder haben die Pferde doch mehr gemeinsam als nur die Rasse? 

Neue Untersuchungen konnten diese Situation aufklären: Im Jahr 2018 identifizierten Finno und Kollegen eine Mutation in einem Gen namens MYH1, die dazu führt, dass Pferde eine immunvermittelte Myositis (IMM) entwickeln können. Pferde mit einer Kopie der Mutation haben ein hohes Risiko und Pferde mit zwei Kopien haben ein sehr hohes Risiko, die Krankheit zu entwickeln. Die Mutation wurde bei Quarter Horses, Paints, Appaloosas, Ponys of the Americas und verwandten Rassen nachgewiesen. Im Jahr 2019 berichteten Gianino und Kollegen, dass die Mutation am häufigsten in den Quarter Horse Linien für Reining, Working Cow und Halter auftritt.  

Die MYH1–Genmutation bewirkt eine Veränderung in der Form des Myosin Heavy Chain 2X (MYH1) Proteins, das in Muskelfasern vom Typ 2X („fast-twitch“ Muskelfasern) vorkommt. Diese Art von Muskelfasern findet man vor allem in der Hinterhand und entlang der Rückenlinie. 

Die durch die Mutation ausgelöste Veränderung im MYH1-Protein sorgt dafür, dass ein Bereich des Proteins einem Teil des Druse-Bakteriums sehr ähnlich wird. Wenn das Immunsystem des Pferdes nun aktiviert wird (z.B. durch eine Infektion, Krankheit, Impfung oder etwas Unbekanntes), ist es möglich, dass das Immunsystem die veränderte Version des MYH1-Proteins fälschlicherweise als Feind erkennt und angreift. Dies führt zu dem für IMM typischen, schnellen Muskelabbau (IMM-Schub). Betroffene Pferde erholen sich in der Regel wieder und bauen die verlorene Muskulatur über mehrere Monate hinweg wieder auf. Erfolgt bei einem Schub eine sofortige Behandlung mit Kortikosteroiden, so erholen sich die Pferde meist etwas schneller.  

Einige Pferde mit der MYH1-Mutation bekommen möglicherweise keine akuten IMM- Schübe, sondern zeigen stattdessen Episoden von non-exertional Rhabdomyolysis (non-ER).  

Non-ER ist durch Phasen mit starker Muskelschädigung gekennzeichnet, die nicht durch Bewegung (z. B. intensives Training) ausgelöst wurden. Während einer non-ER Episode haben die Pferde erhöhte Serumkreatinkinase (CK)-Werte, zeigen aber möglicherweise keine Muskelatrophie. Da sowohl IMM als auch non-ER durch die Mutation in MYH1-Gen ausgelöst werden, werden die beiden Erkrankungen auch unter dem Begriff MYH1-Myopathien zusammengefasst.  

Die MYH1-Mutation ist semi-dominant mit unvollständiger Penetranz. Semidominant bedeutet, dass eine Kopie der Mutation (n/My) bereits ausreicht, damit ein Pferd ein Risiko hat, die Krankheit zu entwickeln. Zwei Kopien (My/My) erhöhen dieses Risiko um ein Vielfaches. Unvollständige Penetranz bedeutet, dass ein Pferd mit der Mutation nicht zwangsläufig Symptome zeigt.  

Normalerweise ist ein zusätzlicher Trigger notwendig, um einen Schub auszulösen.  

Obwohl es kein Zuchtverbot für Pferde mit MYH–Myopathien gibt, wird dringend empfohlen, Pferde mit zwei Kopien (My/My) nicht in der Zucht einzusetzen, da jedes Fohlen die Mutation erben wird. Wenn ein Pferd eine Kopie hat (n/My) und ein Besitzer sich für die Zucht mit diesem Pferd entscheidet, so sollte das Pferd nur mit Pferden verpaart werden, die die MYH–Mutation nicht haben (n/n). 

Zur weiteren Forschung und Umgang mit den oben genannten Gendefekten werden das CAG in Tübingen und die DQHA zukünftig eng kooperieren.  

Text: DQHA, Textauszüge aus Publikationen und Informationsbroschüren des CAG mit freundlicher Genehmigung von Melissa Cox., Foto: A. Bozai