Füttern und Futtern

Alles zu seiner Zeit!

Würde man unsere Westernpferde fragen, dann wäre sicher jeder Zeitpunkt der richtige für eine ausgiebige Mahlzeit – leider muss aber der Pferdefreund der ungezügelten Fresslust seiner Rösser einen Riegel vorschieben. Das betrifft nicht nur die Gesamtmenge und Gewichtung, sondern tatsächlich auch den Zeitpunkt. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, was gefüttert wird, sondern auch, wann. 

Freilebende Pferde verbringen etwa 60 % eines Tages mit der Futteraufnahme. Sie wandern gemächlich von Grashalm zu Grashalm und geben sich zufrieden, wenn die „einprogrammierte“ Anzahl von Kauschlägen erreicht ist. Es ist nicht das Sättigungsgefühl, sondern dieses innere Zählwerk, das ihnen sagt, dass es nun wohl genug ist. Das Zählwerk wurde aber zu einer Zeit geeicht, als die Nahrung des Pferdes aus harten, spärlichen Steppengräsern bestand, und es hat sich seitdem nicht verändert. Deshalb ist der Mensch gefordert, auf der einen Seite das Fressbedürfnis – die mit Fressen verbrachte Zeit und das Erreichen einer zufriedenstellenden Anzahl von Kauschlägen – und auf der anderen Seite den Futterbedarf, die Summe aller individuell benötigten Stoffe zu berücksichtigen. Zugleich müssen Arbeitsabläufe im Pferdestall und Trainingszeiten mit einkalkuliert werden.  

So sollten Fresspausen von mehr als vier Stunden vermieden werden, da es dann zumindest langfristig zu ganz erheblichen Gesundheitsstörungen – insbesondere zu Magenschleimhautentzündungen und Magengeschwüren – kommt. Infolge der langen Verweildauer von Futter sogar im recht kleinen Magen (der Futterbrei wird frühestens nach einer Stunde, oft erst nach fünf Stunden in den Dünndarm weitertransportiert) ist es auch kaum möglich, Pferde nüchtern in die Arbeit zu nehmen.  

Ein wichtiger Faktor: Das Blut im Organismus eines Pferdes ist nie gleichmäßig auf den ganzen Körper verteilt. Es wird immer wieder umverteilt und dort konzentriert, wo gerade am meisten geleistet werden muss. Bei intensiven Verdauungsvorgängen befindet sich viel Blut im Bereich der Verdauungsorgane, bei körperlicher Anstrengung wird es in der Muskulatur gebraucht oder auch an der Körperoberfläche, um die entstandene Wärme abzuleiten und das Pferd so vor Überhitzung zu schützen. Das führt dann zu Problemen, wenn Verdauung und intensive Belastung aufeinandertreffen: Der Körper wird nun Blut aus dem Verdauungstrakt abziehen und damit die Verdauungsvorgänge so negativ beeinflussen, dass Störungen bis hin zu einer Kolik die Folge sein können. 

Es muss also viel beachtet und eingeplant werden, aber wie lässt sich dies alles möglichst gut unter einen Hut bringen? 

Am wichtigsten: Wasser

Meist haben Pferde ständig uneingeschränkten Zugang zu Wasser, und das ist auch gut so. Unmittelbar vor wie auch nach großen Anstrengungen sollten Pferde allerdings keine größeren Mengen Wasser und vor allem kein kaltes Wasser aufnehmen.  

Wer erhitzte, erschöpfte Pferde tränkt, sollte zunächst abwarten, bis Atmung und Puls sich beruhigt haben.  

Danach kann immer wieder handwarmes Wasser in kleinen Schlucken angeboten werden. Kaltes Wasser in großen Mengen ist grundsätzlich zu meiden, es kann vermutlich sogar eine Hufrehe auslösen!  

Heu und Gras gehen eigentlich immer

Wann und wie sollten unsere American Quarter Horses ihr Heu bekommen? Fragt man die Pferde, kennt man die Antwort im Voraus: Am besten immer! Fragt man die Fachleute, bekommt man doch tatsächlich dieselbe Antwort… Wenn sich dies einrichten lässt, können und sollten Pferde ständig Zugang zu Heu bekommen, allerdings am besten so, dass es in kleinen Portionen zugeteilt wird oder erarbeitet werden muss. Bei einer solchen 24/7-Heufütterung reicht es meist, die Pferde etwa eine Stunde vor einer größeren Belastung vom Raufutter zu trennen, bei normalen Trainingseinheiten ist dies nicht nötig. Anders sieht es aus, wenn Pferde ihre tägliche Portion Heu in mehreren größeren Rationen vorgelegt bekommen. Dann wird pro Zeiteinheit mehr Raufutter aufgenommen und der Magen kann durchaus recht voll sein.  

Sinngemäß gilt dies auch für Weidegang: Stehen unsere Pferde ganztags auf einer nicht allzu üppigen Weide, werden sie viele Stunden mit Grasen verbringen und so pro Zeiteinheit relativ weniger Gras aufnehmen als bei nur stundenweisem Weiden. Vor dem Training, vor allem aber vor größeren Anstrengungen (das kann je nach individueller Pferde-Gemütslage auch ein Transport sein!) kommt jetzt das Bauchgefühl des Pferdehalters zum Einsatz: Je größer die zu erwartende Leistung, desto länger der Zeitraum davor, wo Sie den Zugang zu Heu und Gras so kontrollieren, dass Ihr Pferd sich nicht mehr den Magen damit vollschlagen kann. Fressen darf es bis kurz vor dem Start, aber eben nicht große Mengen in kurzer Zeit aufnehmen. 

Voller Bauch trainiert nicht gern

Für Kraftfutter gilt: Mindestens zwei Stunden vor einer Belastung ist es tabu! Allerdings kommt es auch hier auf die Portionen an: Erhält ein Pferd eine einzige, größere Kraftfuttermahlzeit am Tag, so wird diese entweder lange vor oder lange nach der Arbeit gereicht, wird die Gesamtportion auf mehrere Einzelgaben verteilt oder erhält das leichtfuttrige Pferd eh nur eine Handvoll Kraftfutter, darf es diese kleine Mahlzeit jederzeit außer etwa einer Stunde vor und nach der Belastung bekommen. Auch hier dürfen Erfahrungswerte des Pferdehalters in individuelle Entscheidungen einfließen. Je angestrengter ein Pferd allerdings nach einer Belastung wirkt, desto länger wartet man mit der Kraftfuttergabe. Wer einem erschöpften Pferd direkt nach einer Hochleistung sein Kraftfutter anbietet, tut ihm damit keinen Gefallen, da die Verdauungsorgane sich ebenso erholen müssen wie der gesamte Organismus, bevor sie wieder physiologisch arbeiten können. 

Kleine Snacks zwischendurch?

Erstreckt sich eine Leistung über einen längeren Zeitraum – ein ganzer Showtag mit vielen Starts, ein Distanzritt, sogar ein Wanderritt – so darf das Pferd zwischendurch jederzeit etwas Gras aufnehmen und immer wieder einige Schlucke trinken. Lässt sich eine längere Pause einplanen, sind dann auch kleinere Kraftfuttermahlzeiten möglich, aber nicht unbedingt notwendig. Besser ist eine gute Portion Heu oder eine längere Pause beim Grasen. 

Beim richtigen Timing gilt es, Belastungen mit vollem Magen zu vermeiden, aber für eine rechtzeitige Befüllung entleerter Speicher zu sorgen. Hier spielt, anders als in den Köpfen mancher Reiter verankert, Wasser und nicht etwa Kraftfutter die Hauptrolle. Ein gut trainiertes Pferd in einem passenden Fütterungszustand verfügt über genügend Reserven, um auch intensivere oder langdauernde Anstrengungen abzudecken. Es gilt immer: Wasser ist am wichtigsten für die Gesundheit, Raufutter folgt direkt danach und hält den Verdauungstrakt mobil, Kraftfutter ist an letzter Stelle nur dafür zuständig, etwaige dann noch bestehende Versorgungslücken aufzufüllen.  

Text und Foto: Angelika Schmelzer