Prescott – Everybody’s Hometown

Arizona – USA

Wir Westernreiter lieben Geschichten mit dem authentischen Hauch vergangener Zeiten. Orte, an denen die Zeit still zu stehen scheint, gibt es noch viele im Westen der USA. Heute stellt unser USA-Team Prescott vor, die Nummer 4 unter den Top 10 der True Western Towns 2020. 

Hinter den Schwingtüren desPalace Saloon mit seiner historischen langen Bar scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Sitzen dort in der dunklen Ecke vielleicht Virgil Earp und sein Bruder Wyatt? Und der feine Herr daneben, ist das etwa ihr guter Freund Doc Holliday? 

Haben sich die Augen erst einmal an die Dunkelheit gewöhnt, kehrt auch die Realität zurück: Es sind nur Touristen, die auf Barhockern und an Tischen sitzen. Dennoch, ein Hauch jener Tage des Wilden Westens in den 1860er- und 1870er-Jahren weht immer noch durch die Kleinstadt Prescott, im Zentrum des US-Bundesstaates Arizona gelegen. 

Das sah auch die Chefredaktion des „True West Magazine“ so: „Prescott ist eine bemerkenswerte Old West Town. Das liegt nicht allein an der Geschichte der Stadt, sondern auch daran, wie hier die Vergangenheit am Leben erhalten wird.“  

Wildwestflair und Naturlandschaften

In der Tat wirkt der etwa 1600 m hoch gelegene Ort immer noch wie eine Westerntown aus den 1860ern. Historische Bauten wurden authentisch restauriert, Museen lassen die Geschichte wiederaufleben und die umgebende Berg-, Wald- und Seenlandschaft wirkt wie die Kulisse eines Westernfilms. 

Zu den Relikten, die an die wilden alten Zeiten erinnern, gehört die „Whiskey Row“, jener Abschnitt der Montezuma Street, die im Westen des Courthouse Square durch Downtown führt. Zwar ist von den einst vierzig Saloons nur noch eine Handvoll übrig geblieben, doch sitzt man an der historischen Bar im Palace oder an jener im Birdcage Saloon, scheint die Uhr zurückgedreht… 

Goldgräber und Cowboys

1863 war eine Gruppe Goldsucher in der Sierra Prieta aufgetaucht, in jener langen Bergkette westlich von Prescott mit dem unübersehbaren Thumb Butte, der wie ein Daumen fast 2000 m hoch aufragt. Angeführt von Joseph Walker fand man tatsächlich Gold und mitten im amerikanischen Bürgerkrieg setzte ein Goldrausch ein. Wie wichtig die Funde für die Regierung zu diesem Zeitpunkt waren zeigt sich daran, dass schon ein Jahr später hier das neue Territorial Capital gegründet wurde und mit Fort Whipple einer der wichtigsten Militärposten im Südwesten entstand. 

Die Abenteurer und Goldsucher machten den Ort schnell zu einem der wildesten im Westen – wie auch die lokale Zeitung damals treffend feststellte: „Unser beschaulicher Ort ist zum Inferno geworden. Betrunkene streiten, prügeln sich und schießen sogar aufeinander. Wir brauchen einen oder zwei starke Männer, die für Ruhe und Ordnung sorgen.“ Zum Glück betrieb damals der ehrwürdige Virgil Earp nahe der Stadt ein Sägewerk und wurde zum Constable ernannt. Er überredete seinen bekannteren Bruder Wyatt und seinen Freund John Henry „Doc“ Holliday, ebenfalls nach Arizona zu kommen und ihn zu unterstützen. Als sich die Lage in Prescott beruhigte, zogen alle drei weiter nach Tombstone. 

Bis 1889 – mit einer Unterbrechung zwischen 1867 und 1877 – fungierte Prescott als Hauptstadt des Arizona Territory, danach, zumal auch die Goldminen erschöpft waren, wurde es still im Ort. Nur noch Cowboys der nahen Ranches tummelten sich in der Stadt. Viehzucht hatte sich nämlich zum neuen Hauptstandbein der Stadt entwickelt – und ist es bis heute neben dem Tourismus geblieben. 

Cowboys und Cowgirls

Schon 1888 waren die Prescott Frontier Days ins Leben gerufen worden, ein Rodeo, das Anfang Juli stattfindet und mittlerweile als das älteste, kontinuierlich stattfindende Rodeo Nordamerikas gilt. Dazu gehören eine große Parade, Barrel Racing und Show Acts. 

Ebenfalls schon lange, über 30 Jahre, gibt es das Arizona Cowboy Poets Gathering, das die Tradition der Cowboy-Dichtung und -Musik fortführt.  

An einem verlängerten Wochenende finden sich über 40 Dichter und Sänger in Prescott ein, um laut über ihr nicht immer leichtes Leben auf der Ranch, mit Pferden und Rindern, Familie und Natur nachzudenken.  

Im „Cowboy Corner“ in Prescott finden Cowboys/-girls von Chaps und Sätteln über Bits und Spurs bis hin zu Decken, Zügeln und Gebissen alles, was ein Westernreiter braucht. Richtig schöne Stiefel, allerdings nicht zum sofortigen Mitnehmen, sondern auf Bestellung „custommade“, liefert Paul Krause von „PK Bootmaker“.  

Lebendige Western-Kultur

Noch ist Paul Krause im neuen Western Heritage Center nicht vertreten, dafür aber viele andere Persönlichkeiten, die in Prescott ihre Spuren hinterlassen haben. Über sie und die turbulente Vergangenheit der Stadt informiert diese neue Ausstellung, die sich in einem historischen ehemaligen Hotelbau an der Whiskey Row befindet. 

Auch das Sharlot Hall Museum, ein Komplex aus sechs historischen Bauten, das Fort Whipple Museum oder das Phippen Museum für Western Art entführt Besucher in die schillernde Vergangenheit der Stadt. Das Museum ofIndigenous People, 1935 im Stil eines Hopi Pueblos erbaut, gibt darüber hinaus faszinierende Einblicke in die Welt der einst hier siedelnden Yavapai- und Apache-Indianer. Ihre Nachfahren leben noch heute in einem Reservat nahe der Stadt. 

Natur pur und kulinarische Genüsse

Prescott ist vielseitig: Wer in der malerischen Felsenlandschaft der Granite Dells mit dem Watson Lake steht – ideal zum Wandern, Bootfahren oder Fischen –, an den Ufern von Lynx oder Goldwater Lake, vergisst Wildwest und Geschichte. Überragt werden die Berge von den Wahrzeichen der Stadt, dem markanten Thumb Butte und dem über 2300 m hohen Granite Mountain.  

Überall gibt es Trails, Climbing-Routen und Aussichtspunkte, von einigen davon blickt man weit, bis zu den schneebedeckten Bergen bei Flagstaff. 

Auch kulinarisch ist die Stadt innovativ und vielseitig: Honigwein im Wilden Westen? Im gemütlichen Tastingroom der Superstition Meadery im Untergeschoss des Old Capitol Market stellt man schnell fest, dass der Honigwein, den Jenn und Jeff Herbert herstellen, überhaupt nicht süß und klebrig ist. Dieses weltälteste fermentierte Getränk, aber auch Cidre, wird hier in einer enormen Vielfalt und von höchster Qualität angeboten. 

Schon lange, seit 1994, gibt es die benachbarte Prescott Brewing Company, ebenfalls im Marktgebäude und auch wegen des handfesten Essens in großen Portionen beliebt. Wesentlich jünger, erst 2012 eröffnet, ist hingegen Granite Mountain Brewing. Diese „Nano-Brauerei“ hat mit drei Braukesseln direkt hinter dem Bartresen angefangen, inzwischen wird das in Weinfässern gelagerte Belgium Dark Ale im Hinterzimmer produziert. Abgefüllt wird nicht, alle Biere kommen vom Fass. 

Die Thumb Butte Distillery bietet ebenfalls Touren und Tastings. Ein Möbelbauer und Künstler und eine Bäckerin haben hier eine Brennerei in einer großen Halle eröffnet, mit Kunstwerken an den Wänden und den Destillier-Geräten zwischen der kleinen Bühne und den Tischen für die Gäste. Abgesehen von Wodka, Gin und Whiskey gibt es grandiose Cocktails und dazu Käse- oder Wurstplatten.  

Text: Margit Brinke/Peter Kränzle, Foto: M. Brinke