Nachhaltigkeit im Reitsport: Wolle

Die natürliche Hightech-Funktionsfaser vom Vierbeiner für den Vierbeiner

Funktionsstoffe sind aus dem Sport und der Bekleidungsindustrie nicht mehr wegzudenken. Auch in der Reiterei hat Funktionskleidung schon lange Einzug gehalten. Und selbst für Pferde sind Abschwitz-/Ausreit- und Pferdedecken aus Hightech-Gewebe selbstverständlich geworden. 

Aufwändig im Labor konstruiert, oft mit Schadstoffen belastet und nicht rückstandsfrei zu entsorgen, hinterlassen moderne Funktionsstoffe ihren nicht wirklich ökologischen Fußabdruck auf unserem Planeten. Wäre es im Zuge der Plastik- und Ressourcen-Diskussion nicht wünschenswert, ein Naturprodukt mit all den hervorragenden Eigenschaften moderner Funktionsstoffe zu erfinden? 

Gibt es längst! Wolle als reine Naturfaser findet in Vorderasien schon seit 4.000 v. Chr. Verwendung. Wurden zu Beginn für Textilien ausschließlich Wollschafe genutzt, wird heute das Haar unterschiedlicher Tierarten verwendet: Kaninchen (Angora), Ziegen (Mohair, Kaschmir) oder aus den Anden stammende Kleinkamelarten (Alpaka, Lama) liefern ebenfalls den begehrten Rohstoff. Was macht dieses nachwachsende Wunderprodukt so attraktiv, dass es immer mehr auch bei uns Reitern wieder zum Einsatz kommt? 

Faser mit Mähhhrwert

Das wichtigste: Wolle hat eine natürliche Thermoregulations-Eigenschaft. Gemessen am Volumen besteht sie zu 85 % aus Luft, die per se ein schlechter Wärmeleiter ist. Zudem verhindert das Gewebe eine Wärmeübertragung an die Umgebungsluft und isoliert hervorragend, die Körpertemperatur wird dadurch optimal gespeichert. Dazu kann Wolle über 30 % ihres Trockengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen. Da diese – im Gegensatz zu Wärme – schnell über die Oberfläche abgeleitet wird, fühlen sich Kleidungsstücke dabei nicht klamm auf der Haut an. Dank einer hauchdünnen Beschichtung aus Lipiden (fettähnliche Substanz) rollt Wasser in Tropfen an der Faseroberfläche ab. Schonend verarbeitet bleibt diese Schutzschicht erhalten und der Stoff ist absolut wasserabweisend – besonders für Pferdedecken und Reitbekleidung begehrte Eigenschaften! 

Weitere Pluspunkte: Wolle ist quasi mit einer natürlichen Selbstreinigungsfunktion ausgestattet. Sie nimmt kaum Fremdgerüche an und ist sehr schmutzabweisend. Auslüften und Abbürsten genügt meistens. Zudem ist sie quasi noch mit einem weiteren Sicherheitsaspekt ausgestattet, denn im Gegensatz zu Kunstfasern ist Wolle sehr schwer entflammbar.  

Wolle wird in den verschiedenen Qualitäten angeboten:  

• (Schaf-)Wolle – sie stammt vom toten Tier und kann auch schädliche Rückstände vom Gerben/Färben und Reißwolle (Alttextilien, Abfallmaterial aus der Textilherstellung) enthalten. 

• Reine Schurwolle – sie wird vom lebenden Tier durch Scheren gewonnen. Neben der Wolle vom Schaf darf auch z.B. Kamelhaar, Kaschmir, Mohair verwendet werden. Oft wird sie chemisch behandelt (z.B. gegen Mottenbefall) und waschbar gemacht. Leider verliert sie so viele der geschätzten Eigenschaften. 

• 100 % naturbelassene Schafschurwolle – sie wird ebenfalls vom lebenden Tier gewonnen. Im Gegensatz zur reinen Schurwolle darf nur Schafswolle enthalten sein. Da die Wolle nur mechanisch mit Seife gewaschen wird, bleiben die positiven Eigenschaften (wärmedämmend, wasserabweisend, atmungsaktiv) erhalten. 

Vom Haar zum Textil

In seiner Struktur ist Wolle dem menschlichen Haar sehr ähnlich. Jede einzelne Faser ist von einer speziellen dachziegelartigen Schuppenschicht umschlossen. Diese Schicht kennt man einerseits vom sogenannten Pillingeffekt und vom Verfilzen.  

Um aus der Naturfaser Textilien herzustellen, wird sie entsprechend verarbeitet. Beim Filz, bei Loden oder Walk wird eben diese ziegelartige Struktur genutzt, um aus der Wolle eine Stoffbahn herzustellen. Zudem kann Wolle auch verstrickt, gesponnen oder zu Vlies verarbeitet (Inlays von Jacken z.B.) werden. 

Ein Stoff mit Tradition

Filz-, Walk- und Lodenstoffe werden noch heute ähnlich wie vor 500 Jahren hergestellt. Unter Filz versteht man gewalkte (verfilzte) Wolle. Gewonnen wird er, indem sich unter Einwirkung von Laugen, Wärme, Bewegung und Druck das einzelne, zu einem Fließ ausgebreitete Haar zu einer festen Struktur verkettet. Es gibt verschieden Verfilzungsgrade und Filzstärken. Dadurch bekommt jedes Material eigene Eigenschaften. 

Loden ist gewebtes Streichgarn (ungekämmte Wolle), das nach dem Webevorgang gewalkt (verfilzt) wird. Das Material kann sehr fein gearbeitet werden und eignet sich deshalb besonders gut für Kleidungsstücke. Traditionell wurde eine dicke Lodendecke auch als Woilach, eine mehrfach gefaltete Satteldecke, die aufgrund der Wollstruktur rutschfrei ist, eingesetzt. Praktisch: Ungefaltet kann sie auch gleichzeitig als Abschwitzdecke verwendet werden. 

Bei der Bezeichnung „Walk“ streiten sich die Geister, denn im Grunde ist Walk lediglich ein Synonym für Filz. Gerade im bayerischen Raum versteht man unter Walk den erst verstrickten und dann verfilzten Stoff, der gerne zu wunderschönen Trachten-Jankern verarbeitet wird.  

Im Unterschied zu Loden und Filz ist der gestrickte Walk auf Grund seiner weniger verdichteten Struktur winddurchlässig und nicht wasserabweisend. Darüber hinaus kann Walk nicht so dünn hergestellt werden. 

Vielseitiges Material, vielseitiger Einsatz

Während Filz in der Reiterei dank seiner Materialdicke und -festigkeit, der guten Isolierfähigkeit sowie der stoßdämpfenden Eigenschaften zu Sattelpads verarbeitet wird, findet der dünner gearbeitete, feinere Loden in der Bekleidung seinen Einsatz. Auch Decken werden aus Loden gefertigt, da das Material elastischer und anschmiegsamer als Filz ist. 

Traditionell wird dafür Schafschurwolle verwendet, die überwiegend aus Australien, Neuseeland, Südafrika und Südamerika kommt, da die dortigen Schafsrassen aufgrund des Klimas weichere Wolle als europäische Schafe bilden. 

Ein echtes „Lodenkind“ und begeisterte AQH-Reiterin ist Monika Huber, die neben handgefertigter Reitkleidung und Loden-/Leder-Reithandschuhen auch Abschwitz- und Ausreitdecken aus Loden fertigt. Sie kam schon als Kind in der elterlichen Lodenmantelfabrikation mit dem Material und seiner Verarbeitung intensiv in Berührung. „Eine Abschwitzdecke aus Loden ist ein echtes Hightech-Funktionsstück – nur aus 100 % nachwachsendem Naturmaterial!“, weiß die Expertin.  

„Sie ist wind- und wasserabweisend auch bei hoher Feuchtigkeit, thermoregulierend, da das Material die Feuchtigkeit vom Körper weg leitet, schmutzabweisend und sehr strapazierfähig. Zudem sind gerade für Pferde die antistatischen Eigenschaften sehr angenehm.“ 

Hubers Unternehmen ist nicht die einzige Manufaktur, die den Mehrwert von naturbelassener Wolle – ob Filz, Walk oder Loden – erkannt hat. Erfreulicherweise bietet eine Vielzahl von umweltbewussten Unternehmen in der Zwischenzeit hochwertige Produkte rund um den Reitsport an. Für den Verbraucher lohnt hier auf jeden Fall ein genauer Blick auf die verwendeten Materialien. 100 % Schafschurwolle sollten es sein, wenn das Equipment die Funktions-Eigenschaften aufweisen soll. Möchte man auch der Umwelt Rechnung tragen, kann man vor dem Einkauf prüfen, woher die Rohstoffe stammen und wo produziert wird. Made in Germany sorgt auf jeden Fall für kurze Transportwege. Kleine Manufakturen arbeiten zudem meist mit viel Herzblut und Fachwissen. Nicht selten werden sie von Menschen geführt, die selbst dem Reitsport verfallen sind und die ihren Erfahrungsschatz in ihre Produktpalette einfließen lassen. 

Text: Kerstin-Alexandra Probst, Foto: BELANI