IMM/MYHM in der AQH-Zucht

Eine Genvariante, verschiedene Gesichter

Seit 2018 steht für das American Quarter Horse und verwandte Rassen neben den bekannten und etablierten genetischen Tests auf Erbkrankheiten der Gentest auf IMM/MYHM zur Verfügung. Dieser Test analysiert das Vorliegen einer genetischen Prädisposition für das Auftreten der sogenannten MYH1-Myopathie. Unter dem Überbegriff MYH1-Myopathie (MYHM) werden Muskelerkrankungen zusammengefasst, die durch eine Genvariante im MYH1-Gen verursacht werden können.

Im Muskel bilden Filamente aus Aktin- und Myosinmolekülen die sogenannten Myofibrillen. Diese bilden die Muskelfasern, die wiederum in Primärbündeln, diese in Sekundärbündeln, weiter in Tertiärbündeln und schließlich in den Muskelfaszien zum Muskel angeordnet sind. Je nach Muskeltyp werden unterschiedliche Myosin- und Aktinmoleküle exprimiert. Das Gen MYH1 codiert für eine Untereinheit, genauer gesagt die schwere Kette des Myosins 2X, welches in schnell zuckenden Muskelfasern vorkommt. Diese Fasern, die einen hohen Anteil an Myosin 2X exprimieren, findet man beim Pferd vor allem im Bereich der Rückenlinie und der Hinterhand, genauer gesagt der Kruppe.
Das Vorliegen dieser Genvariante im MYH1-Gen, der MYH1 E321G Variante, ist ein Risikofaktor für das Auftreten zweier unterschiedlicher Krankheitsbilder, der Immunvermittelten Myositis [1] und der nicht-belastungsinduzierten Rhabdomyolyse [2].

Immunvermittelte Myositis (IMM)

Bei der IMM handelt es sich um eine inflammatorische Myositis (eine entzündliche Erkrankung der Skelettmuskulatur), die vor allem beim AQH und verwandten Rassen auftritt [3]. Die betroffenen Tiere sind meist acht Jahre und jünger oder 17 Jahre und älter (bimodale Altersverteilung).
Bei der IMM kommt es zum Abbau von Muskelgewebe entlang der Rückenlinie und der Kruppe. Klinisch charakterisiert ist ein IMM Schub durch eine rapide Atrophie (Muskelschwund), es kann dazu kommen, dass ein Pferd innerhalb von 72 Stunden bis zu 40% seiner Muskelmasse verliert. Weitere Symptome sind Unwohlsein, Steifheit, Schwäche und Fieber. In den meisten Fällen erholen sich die Pferde wieder von einem IMM Schub. Allerdings kann die IMM wiederkehrend verlaufen und auch tödlich enden.
Es wird vermutet, dass neben der genetischen Prädisposition ein Umweltstimulus nötig ist, um die IMM auszulösen. Als Umwelttrigger werden Infektionen mit bakteriellen und viralen respiratorischen Erregern oder Verletzungen des Muskelgewebes z. B. durch ein Trauma oder eine Impfung, diskutiert [4].

Nicht-belastungsinduzierte Rhabdomyolyse

Die Rhabdomyolyse (Gewebszerfall der quergestreiften Muskulatur) ist die häufigste Form der Muskelerkrankungen in AQHs. Die MYH1 E321G Genvariante kann neben dem Auftreten der IMM auch mit dem Auftreten von Rhabdomyolyse bei jungen AQHs in Zusammenhang gebracht werden [2]. Prinzipiell unterscheidet man zwischen belastungsinduzierter und nicht-belastungsinduzierter Rhabdomyolyse.
Interessanterweise besteht zunächst kein Zusammenhang zwischen dem Auftreten einer belastungsinduzierten Rhabdomyolyse und dem Vorliegen der MYH1 E321G Variante. Allerdings tritt eine Atrophie in Folge einer belastungsinduzierten Rhabdomyolyse vor allem in den Tieren auf, die mindestens eine Kopie der MYH1 E321G Variante tragen.
Anders sieht es beim Auftreten einer nicht-belastungsinduzierten Rhabdomyolyse aus, hier kann eine starke Assoziation mit dem Vorhandensein der MYH1 E321EG Variante beobachtet werden. Es wird postuliert, dass das Vorliegen der MYH1 E321G Genvariante das Risiko für das Auftreten einer Atrophie erhöht. Auch Fieber als Begleiterscheinung einer nicht-belastungsinduzierten Rhabdomyolyse tritt häufiger bei Tieren mit der MYH1 E321G Variante auf.
Auch für das Auftreten der Rhabdomyolyse wird eine bakterielle oder virale Infektion als auslösender Umwelttrigger diskutiert.

Vererbung

Der Erbgang für IMM/MYHM ist autosomal-dominant mit variabler Penetranz, was bedeutet, dass nicht alle Pferde, die ein (Genotyp N/MYH) oder zwei Allele (Genotyp MYH/MYH) der Genvariante haben, IMM oder nicht-belastungsabhängige Rhabdomyolyse entwickeln. Pferde mit zwei Kopien (MYH/MYH) haben jedoch ein deutlich erhöhtes Risiko und können stärker betroffen sein. Es existieren noch keine Zahlen darüber, wie viele Tiere den Genotyp N/MYH oder MYH/MYH tragen und keine Symptome aufweisen.

Verbreitung in der American Quarter Horse Population

Der Anteil an heterozygot betroffenen Tieren in der AQH-Population wird auf 6,8% geschätzt [5]. In dieser Studie wurde auch die Verbreitung der MYH1 E321G Variante in Leistungsträgern bestimmter Kategorien analysiert. Dabei wurde gezeigt, dass die Genvariante überdurchschnittlich häufig in Tieren der Kategorien Reining, Working Cow und Halter vorkommt. Kein einziges Tier für die MYH1 E321G Variante fand man in dieser Studie in den Tieren der Disziplinen Barrel Racing und Racing.
Im Zeitraum 2018 bis September 2020 wurden bei Laboklin mehr als 1.000 Quarter Horses auf das Vorliegen der MYH1 E321G Variante getestet. Unter den eingesendeten Proben waren 79% der Tiere frei (N/N), 19,3% waren heterozygot betroffen (N/MYH) und 1,7% waren homozygot betroffen (MYH/MYH) (Abb. 1). Anzumerken ist, dass diese Daten keine Zahlen aus einer Studie widerspiegeln, in welcher die Tiere zufällig ausgewählt wurden, sondern die Ergebnisse der Einsendungen in einem veterinärmedizinischen Labor darstellen. Unsere eigenen Daten übersteigen tendenziell die Trägerrate der Gesamtpopulation, da vermehrt Proben in die Analyse mit eingehen, die zur Differentialdiagnose von Verdachtsfällen eingesendet werden.

Text: Dr. Stefanie Müller-Herbst, Biologin Molekularbiologie, LABOKLIN GmbH & Co. KG

Literatur: 1 Finno CJ, Gianino G, Perumbakkam S, Williams ZJ, Bordbari MH, Gardner KL, Burns E, Peng S, Durward-Akhurst SA, Valberg SJ. A missense mutation in MYH1 is associated with susceptibility to immune-mediated myositis in Quarter Horses. Skelet Muscle. 2018 :8(1):7.
2 Valberg SJ, Henry ML, Perumbakkam S, Gardner KL, Finno CJ. An E321G MYH1 mutation is strongly associated with nonexertional rhabdomyolysis in Quarter Horses. J Vet Intern Med. 2018: 32(5):1718-1725.
3 Lewis SS, Valberg SJ, Nielsen IL. Suspected immune-mediated myositis in horses. Vet Intern Med. 2007: 21(3):495-503.
4 Hunyadi L, Sundman EA, Kass PH, Williams DC, Aleman M. J. Clinical Implications and Hospital Outcome of Immune-Mediated Myositis in Horses. Vet Intern Med. 2017: 31(1):170-175.
5 Gianino GM, Valberg SJ, Perumbakkam S, Henry ML, Gardner K, Penedo C, Finno CJ. Prevalence of the E321G MYH1 variant for immune-mediated myositis and nonexertional rhabdomyolysis in performance subgroups of American Quarter Horses. J Vet Intern Med. 2019: 33(2):897-901.